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I Leitbild

Der Schutz von Schüler*innen vor sexueller Gewalt sollte im Leitbild der Schule oder im Schulprogramm verankert werden.

Warum

WARUM?

Wozu dieser Bestandteil? Was haben wir davon?

Eine Schule, die das Thema (sexuelle) Gewalt in ihrem Leitbild, im Schulprogramm oder in dessen Präambel verankert, positioniert sich deutlich und sendet ein starkes Signal, dass Gewalt hier nicht toleriert wird. Diese klare Haltung kann potenzielle Täter und Täterinnen abschrecken und Schüler*innen sowie Eltern Sicherheit vermitteln.

Eine Schule, die sich so positioniert, macht deutlich, dass sie die Verantwortung für den Kinderschutz annimmt und trägt. Damit wird ein wichtiger Schritt dahingehend getan, das Tabu der sexuellen Gewalt zu brechen und zu zeigen, dass jegliche Gewalt keine Privatsache ist. Schulen mit einem derartigen Leitbild nehmen auch eine Vorbildrolle ein – für andere Schulen und auch für weitere Einrichtungen in der Region, die Verantwortung für Kinder und Jugendliche tragen.

Um diese Wirkungen zu entfalten, sollte diese Entscheidung auch in der Öffentlichkeitsarbeit berücksichtigt werden und das Leitbild etwa auf der Website der Schule zu lesen sein. Bei einem solchen Schritt in die Öffentlichkeit könnten allerdings Bedenken entstehen, dass ein offen kommuniziertes Schutzkonzept ein merkwürdiges Licht auf die Schule werfen und andeuten könne, dass die Schule möglicherweise ein Problem habe, wenn sie sich mit dem Schutz vor Missbrauch beschäftigt.

An dieser Stelle sollten sich Verantwortliche in Schulen bewusst machen und dies auch nach außen vermitteln, dass Prävention inzwischen ein Qualitätsmerkmal ist, von dem der Ruf der Schule eher profitieren als Schaden nehmen kann. Gerade in den Bundesländern, die Gewaltschutzkonzepte oder Kinder- und Jugendschutzkonzepte im Schulgesetz verpflichtend einfordern, ist es sogar ein „Muss“.
 

Wann

WANN?

sollte dieser Bestandteil entwickelt werden?

Da eine kurz formulierte Aussage im Leitbild quasi die Quintessenz des Schutzkonzepts darstellt, ist es nicht notwendig, mit der Leitbilddiskussion in den Prozess der Konzeptentwicklung einzusteigen. Man kann ihn damit besser abrunden und besiegeln.

Möglicherweise entwickelt die Projektgruppe zu Beginn der Schutzkonzept-Entwicklung einen ersten Entwurf als Zielperspektive, der am Ende des Prozesses überprüft, mit der gesamten Schulgemeinschaft abgestimmt und dann veröffentlicht wird.

Was

WAS?

sollte im Leitbild gesagt werden?

Im Leitbild sollte zum Ausdruck kommen, dass die Schule neben dem Bildungsauftrag auch einen Erziehungsauftrag hat, der sich immer am Kindeswohl orientiert. Es empfiehlt sich, ausdrücklich zu benennen, dass sie ein Schutzkonzept gegen sexuelle Gewalt und gegebenenfalls zu anderen Gewaltformen entwickelt hat und sich im Alltag daran orientiert, um so ihrem Handlungsauftrag zum Kinder- und Jugendschutz nachzukommen.

Im Leitbild sollte deutlich werden, welche Ziele mit einem Schutzkonzept verfolgt werden: einerseits nicht zum Tatort von sexueller Gewalt zu werden und andererseits ein Kompetenzort zu sein, der aktive Unterstützung und den Zugang zu Hilfe für Schüler*innen bietet, wenn sie – egal wo – Erfahrungen sexueller Gewalt machen mussten (für Formulierungsvorschläge für ein Leitbild siehe Tipps/MATERIAL).

Wie

WIE?

sollte die Leitbildentwicklung stattfinden und WER sollte beteiligt sein?

Diese Leitbildentwicklung folgt den üblichen Regeln und Kommunikationsprozessen für die Entwicklung eines schulischen Leitbildes, wie sie vielen Schulen vertraut sind.

Schulen, die noch keinen solchen Prozess durchgeführt haben, sollten sich zunächst des (schul-)gesetzlichen Auftrags bewusst werden. Darüber hinaus gilt es zu bedenken, dass die Entscheidung, sexualisierte Gewalt im Leitbild zu verankern, von der Schulleitung, der Schulkonferenz bzw. dem Schulvorstand getragen werden muss. Ein Entwurf dafür, wie dies konkret formuliert bzw. wie ein schon vorhandenes Leitbild ergänzt werden könnte, kann von der Projektgruppe erarbeitet werden. Er muss in einem zweiten Schritt jedoch in einem schulinternen Meinungsbildungsprozess abgestimmt werden, denn er sollte von allen getragen werden. Die Schule als Ganzes – mit Lehrkräften, pädagogischen Fachkräften, technischem und Verwaltungspersonal, Schüler*innen sowie Elternschaft in ihren jeweiligen Mitbestimmungsgremien – muss in diese Diskussion einbezogen werden. Da – wie bereits erwähnt – die Verankerung im Leitbild eher den Abschluss der Schutzkonzept-Entwicklung bildet, muss zu diesem Zeitpunkt vermutlich auch niemand aus der Schulgemeinschaft mehr von der Bedeutung des Themas überzeugt werden, da alle bereits in irgendeiner Weise am Prozess beteiligt waren.

Tipps

 

Material

  • Vorschläge für Formulierungsbausteine für ein Leitbild zum Download
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II Interventionsplan

Ein Plan für das Vorgehen in einem Verdachtsfall von sexueller Gewalt bietet allen schulischen Beschäftigten die erforderliche Orientierung und Sicherheit. Er enthält auch ein Rehabilitationsverfahren für den Fall eines ausgeräumten Verdachts.

Warum

WARUM?

Wozu dieser Bestandteil? Was haben wir davon?

Der Interventionsplan ist das Kernstück eines schulischen Schutzkonzepts. Er regelt das Vorgehen bei dem Verdacht, dass eine Schülerin oder ein Schüler sexuelle Gewalt erlebt (hat) ...

  • durch eine Person außerhalb der Schule (z.B. in der Familie, im Sportverein oder im Konfirmationsunterricht) oder
  • durch Mitschüler und Mitschülerinnen
  • durch Erwachsene in der Schule (z. B. durch eine Lehrkraft oder andere pädagogische oder nicht pädagogische Mitarbeiter*innen)

Interventionspläne gewährleisten fachliches Handeln und geben Schulleitung und Kollegium Orientierung und Handlungssicherheit. Zu wissen, was im Fall eines Falles zu tun ist, erleichtert die Bereitschaft, genau hinzusehen, Anhaltspunkte für Gewalterfahrungen zu erkennen und ihnen nachzugehen. Ziel ist es, Schutz für betroffene Schüler*innen herzustellen, und zwar bereits bei sexuellen Übergriffen und nicht erst bei strafrechtlich relevanten Gewalttaten.

Eine vom Deutschen Jugendinstitut 2019 veröffentlichte bundesweite Befragung von Schulen zu den Erfahrungen mit dem Bundeskinderschutzgesetz (von 2012) (siehe Tipps/LITERATUR) ergab, dass allein die Existenz eines Handlungsplans an Schulen die Handlungs- und Rechtssicherheit von Lehrkräften erhöht.

Jede Schule sollte Interventionspläne haben, weil es in jeder Schule Mädchen und Jungen gibt, die außerhalb der Schule sexuelle Gewalt erleben, verübt durch Familienangehörige oder andere Menschen aus ihrem privaten oder digitalen Umfeld. Bislang bleiben diese Fälle in der Schule meist unerkannt. Man könnte die Frage stellen, ob es denn die Aufgabe von Schule sei, sich darum zu kümmern. Die klare Antwort ist: Ja! Nicht nur, weil erlittene Gewalt erwiesenermaßen die schulische Leistung erheblich beeinträchtigen kann, sondern auch, weil Schule neben dem Bildungsauftrag einen Erziehungsauftrag hat. Sie ist die einzige Institution, die alle jungen Menschen erreicht – und zudem verbringen sie viel Zeit dort. In manchen Fällen sind Lehrkräfte und Betreuende die einzigen erwachsenen Ansprechpersonen, die ein Kind außerhalb der Familie hat.

Außerdem treffen Kinder hier – anders als bei vielen Freizeitaktivitäten – auf pädagogische Fachkräfte. Nicht zuletzt sind Lehrer*innen nach § 4 Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG) angehalten und durch Landesgesetze verpflichtet, bei einem Verdacht auf Kindeswohlgefährdung tätig zu werden, und dazu ist es hilfreich, zu wissen, was man tun muss.

Schulen brauchen aber auch Interventionspläne, weil sexuelle Gewalt vor Schulen nicht Halt macht. Mädchen und Jungen erleben auch hier sexualisierte Übergriffe, verübt durch Mitschüler und Mitschülerinnen, wobei sexualisiertes Cybermobbing und andere Formen digitaler Belästigung eine zunehmende Rolle spielen. Aktuelle repräsentative Schüler*innen-Befragungen im Rahmen der hessischen SPEAK-Studienreihe (siehe Tipps/LITERATUR) belegen, dass es sogar deutlich wahrscheinlicher ist, durch Gleichaltrige sexuelle Übergriffe zu erfahren als durch Erwachsene.

Sexualisierte Gewalt kann innerhalb der Schule, aber auch von Lehrkräften oder anderen Erwachsenen verübt werden. Ein solcher Verdacht stellt die größte Herausforderung für eine Schule dar und es gilt, zeitnah, entschlossen und zugleich besonnen vorzugehen. Nur dann kann es gelingen, eine*n betroffene*n Schüler*in oder eine zu Unrecht verdächtigte Person zu schützen bzw. mit einer zu Recht verdächtigten Person fair umzugehen. Erst ein Interventionsplan schafft die Gewähr, dass rufschädigende Gerüchte vermieden werden und die Fürsorgepflicht für unter Verdacht geratene Beschäftigte ausreichend beachtet wird. Ein Interventionsplan ist ein „Wegweiser“ für besonnenes und zugleich wirksames Handeln im Sinne des Kinderschutzes. Er sollte immer auch ein Rehabilitationsverfahren für Verdachtsfälle, die sich als unbegründet herausstellen, beinhalten. 

Wann

WANN?

sollte dieser Bestandteil entwickelt werden?

Als zentraler Bestandteil eines Schutzkonzepts sollte der Interventionsplan frühzeitig entwickelt werden. In der Potenzialanalyse wird vermutlich deutlich geworden sein, dass es in der Schule bereits Interventionspläne bei Kindeswohlgefährdung gibt. Diese gilt es zu überprüfen und gegebenenfalls differenziert zu ergänzen.

Sexualisierte Gewalt weist im Vergleich zu anderen Kindeswohlgefährdungen sehr spezielle Dynamiken auf. Deshalb passen die Interventionswege, die bei anderen Kindeswohlgefährdungen wie Misshandlung, Vernachlässigung oder häuslicher Gewalt angemessen sind, nicht eins zu eins auf den Fall der sexuellen Gewalt.

Viele Schulen erarbeiten leider erst dann einen Interventionsplan, wenn sie sich mit einem Fall konfrontiert sahen und – oft schmerzlich – feststellen mussten, dass sie relativ plan- und oft auch kopflos gehandelt haben, dabei Fehler gemacht haben und viel Zeit und Energie investieren mussten. 

Wer

WER?

sollte den Interventionsplan mit wem entwickeln?

Die Entwicklung eines Interventionsplans sollte mit Unterstützung einer Fachberatungsstelle oder eines entsprechend erfahrenen schulberatenden Dienstes erfolgen. Aufseiten der Schule muss die Leitung beteiligt sein, weil sie die Verantwortung für die Intervention trägt. 

Schulsozialarbeit und idealerweise auch Beratungslehrer*innen sind weitere wichtige Personengruppen für das Erarbeitungsteam. Auch der Personalrat ist sinnvollerweise zu berücksichtigen, da seine Perspektive unerlässlich ist für Fälle, in denen sich ein Verdacht gegen Beschäftigte richtet.

Rücksprache gehalten werden sollte außerdem mit Fachberatungsstellen (sofern sie nicht schon am Entwicklungsprozess beteiligt sind), Jugendämtern und der Polizei. Es ist wichtig, zuständige Ansprechpersonen bereits im Vorfeld eines möglichen Falles und auch die Verfahrensabläufe anderer möglicherweise beteiligter Institutionen zu kennen. Auch die zuständigen „insoweit erfahrenen Fachkräfte“ (nach § 8b Sozialgesetzbuch – Achtes Buch – Kinder und Jugendhilfe; SGB VIII) gehören dazu, die Schulen zur Gefährdungseinschätzung bei einer Vermutung auf Kindeswohlgefährdung beraten. Schulen haben einen Rechtsanspruch auf diese Beratung. Wer jeweils zuständig ist, erfährt man beim örtlichen Jugendamt.

Allen Mitarbeitenden der Schule muss bekannt sein, dass es einen Interventionsplan gibt. Detailkenntnisse sind nicht erforderlich, aber das Wissen um die ersten Handlungsschritte, die sich vor allem auf ihre Verpflichtung zur Meldung von entsprechenden Hinweisen an die Schulleitung beziehen.

Was

WAS?

Fragen, die beantwortet, Themen, die bearbeitet werden müssen

Genau genommen sind Schulen gefordert, drei Interventionspläne zu erstellen, da ihnen wie oben dargestellt drei verschiedene Fallkonstellationen begegnen können:

  1. außerhalb der Schule
  2. innerhalb der Schule durch Mitschüler und Mitschülerinnen oder
  3. innerhalb der Schule durch schulische Beschäftigte

Diese Fallkonstellationen sind mit teilweise sehr unterschiedlichen Handlungsanforderungen verbunden. Sexuelle Gewaltfälle außerhalb der Schule erfordern beispielsweise oft eine sehr enge Kooperation mit Jugendämtern, wenn es sich um familiäre Gewalt handelt, während bei sexuellen Übergriffen durch Gleichaltrige vor allem pädagogisches Handeln im schulischen Kontext im Mittelpunkt steht. Bei dem Verdacht gegen schulische Beschäftigte wiederum stehen arbeitsrechtliche Fragen im Vordergrund. Es gilt also, jeweils unterschiedliche Akteur*innen und auch unterschiedliche Handlungsschritte zu beachten. Und selbst der fachliche Sprachgebrauch unterscheidet sich zum Teil. So ist es z.B. nicht sinnvoll, etwa bei sexuellen Übergriffen unter zwei Achtjährigen von „Täter“ und „Opfer“ zu sprechen, denn das stigmatisiert die beteiligten Kinder und widerspricht auch dem strafrechtlichen Konzept der Strafunmündigkeit unter 14 Jahren.

Auf die Haltung kommt es an

Bevor die einzelnen Schritte und Zuständigkeiten im Interventionsplan beschrieben werden, sollten eingangs einige Haltungen formuliert werden, die das gesamte Verfahren durchziehen. Zu nennen sind hier die Folgenden:

  1. Ruhe bewahren: Vorschnelles Handeln und übereilte Entscheidungen dienen letztlich nicht dem Kinderschutz, sondern nur der eigenen Entlastung. Zügige, aber geplante und abgesprochene Schritte sind erforderlich.
  2. Einen Verdacht zu haben, ist erlaubt, eine Vorverurteilung ist es nicht!
  3. Alternative Erklärungen prüfen: Wer anhand des Interventionsplans einen Verdacht abklären will, darf sich nicht schon auf ein angenommenes Ergebnis festlegen. Andere Hypothesen sollten mit der gleichen Aufmerksamkeit geprüft werden.
  4. Dokumentation: Alle Informationen und Beobachtungen müssen genau und nicht nur umschrieben notiert werden. Dabei müssen Fakten von Bewertungen und Vermutungen (Hypothesen) getrennt dargestellt werden. Alle Interventionsschritte sind schriftlich niederzulegen.
  5. Von der Wahrhaftigkeit des Kindes oder der/des Jugendlichen ausgehen: Den möglicherweise Betroffenen nicht mit Zweifel oder Argwohn zu begegnen, ist eine zentrale Aufgabe der Schule. Das bedeutet nicht, jede Aussage eines Kindes oder Jugendlichen als objektive Wahrheit anzusehen.
  6. Information des/der Betroffenen: Ihrem Entwicklungsstand entsprechend muss mit Kindern und Jugendlichen besprochen werden, welche Schritte eingeleitet werden. Eigene Wünsche und Vorstellungen sollen berücksichtigt werden, solange es für den Kinderschutz nicht kontraproduktiv ist. In solchen Fällen sollte versucht werden, das Kind/den Jugendlichen für den eingeschlagenen Weg zu gewinnen und zu verdeutlichen, dass man als Schule die Verantwortung für die Schülerin oder den Schüler übernimmt.
  7. „Im Zweifel für den Kinderschutz“: Diese parteiliche Haltung sollte das gesamte Verfahren begleiten. Auch wenn man (noch) nicht genau weiß, was passiert ist, können manche Handlungsschritte schon gegangen werden (z. B. Hilfsangebote in die Wege leiten). Da es sich nicht um strafrechtliche Ermittlungen handelt, ist die sogenannte Unschuldsvermutung hier fehl am Platze. Intervention kann bei Kinderschutzfragen nicht warten, bis einer konkreten Person ihre Schuld nachgewiesen werden kann, auch wenn selbstverständlich – wie oben schon erwähnt – bei jedem Handlungsschritt auch die Persönlichkeitsrechte einer (möglicherweise zu Unrecht) verdächtigten Person berücksichtigt werden müssen.

Schritte und Zuständigkeiten

Ein Handlungsplan sollte zunächst festlegen, welche ersten Schritte Mitarbeitende bei einem Verdacht auf sexuellen Missbrauch kennen und beachten sollten. Er regelt interne und externe Meldepflichten und macht transparent, wer Verantwortung für welche Aufgaben übernimmt. Dabei müssen sich die Schulen mit den im jeweiligen Bundesland geltenden Kinderschutz- und Schulgesetzen vertraut machen.

Wichtiger Bestandteil der Intervention ist die Situationseinschätzung. Dabei ist es wichtig, sich klarzumachen, dass Intervention in der Regel kein linearer Ablauf ist, bei dem ein Handlungsschritt zwangsläufig auf den nächsten folgt. Vielmehr ist sie ein zirkulärer Prozess aus Situationseinschätzung ⇨ Handlungsschritt: z. B. Gespräch mit dem betroffenen Kind führen ⇨ erneute Situationseinschätzung ⇨ nächster Handlungsschritt: z. B. mit anderen Personen aus dem Umfeld des Kindes sprechen usw. Bei jeder Situationseinschätzung sollte auch stets ein „Brillenwechsel“ erfolgen. Das bedeutet, zu den Beobachtungen oder den gehörten Äußerungen eines Kindes bzw. einer/eines Jugendlichen verschiedene Erklärungsansätze zu generieren und diese – immer wieder – auf ihre Plausibilität zu prüfen.

Das Problematische an der Intervention bei einem Verdacht auf sexuellen Missbrauch ist, dass man in den meisten Fällen nicht 100 %ige Sicherheit erlangt, ob Missbrauch tatsächlich stattgefunden hat. Besonders schwierig ist dies bei psychisch, kognitiv oder in ihrer Wahrnehmung beeinträchtigten Kindern und Jugendlichen. Aber auch ohne eindeutige Sicherheit muss man handeln, denn jedes Nicht-Handeln bedeutet im Zweifelsfall das Nicht-Schützen eines gewaltbetroffenen Mädchens oder Jungen.

Die größte Herausforderung für eine Schule ist eine Situation, in der ein Verdacht gegen einen Kollegen oder eine Kollegin besteht. Eine solche Vermutung stellt ein Kollegium erfahrungsgemäß vor eine Zerreißprobe. Deshalb ist es wichtig, einen solchen Fall gründlich durchdacht zu haben. Klare Regelungen zur Kommunikation, die vor allem dafür sorgen, dass der informierte Personenkreis so klein wie möglich bleibt, sowie ein überzeugendes Rehabilitationskonzept sind hier unerlässlich. Gerade bei innerinstitutionellen Fällen sollte man den Umgang mit der Öffentlichkeit regeln, z. B. wenn die Presse „Wind“ von einem Missbrauchsverdacht in einer Schule bekommt.

Bei innerschulischen Verdachtsfällen muss Intervention stets das gesamte System Schule im Blick behalten, zu dem viele Personen gehören, an die man nicht sofort denkt, wie z. B. Mitschüler*innen. Darum ist Intervention – vor allem bei einem innerschulischen Vorfall – auch eine zeitliche und logistische Herausforderung. Der Interventionsplan für einen vermuteten Übergriff im Kollegium sollte deshalb ein Interventionsteam benennen, welches gemeinsam Verantwortung trägt und Aufgaben verteilt. Hierzu gehört zwingend auch eine Fachkraft aus einer Fachberatungsstelle oder einem entsprechend erfahrenen schulberatenden Dienst (siehe Bestandteile/KOOPERATION).

Für Fälle innerhalb von Institutionen ist nach erfolgter Intervention eine Aufarbeitung des Geschehenen wichtig. Dabei kann man sich an den Empfehlungen der Aufarbeitungskommission orientieren (siehe Tipps/LITERATUR).

Für jede mögliche Fallkonstellation sollte ein Interventionsplan auch weitergehende Hilfen für Betroffene (z. B. Fachberatungsstellen) und auch für Mitbetroffene wie Eltern oder Kollegium benennen.

Wie

WIE?

sollte man bei der Erstellung eines Interventionsplans vorgehen?

Jede Schule muss ihre eigenen Interventionspläne entwickeln. Es ist wenig sinnvoll, schlicht das zu übernehmen, was andere entwickelt haben, auch wenn es übertragbar erscheint. Natürlich kann man sich Anregungen von anderen holen. Wenn ein Handlungsplan aber auch in der Praxis funktionieren soll, muss er passgenau für die jeweilige Einrichtung sein.

Aber das ist nicht der einzige Grund, warum jede Schule sich die Zeit für die Entwicklung nehmen sollte. Bedeutsam ist auch der Prozess, sich mit den gestellten Fragen, vor allem mit den Haltungsfragen, auseinanderzusetzen. Bei der Konzeptentwicklung mögliche Situationen zu antizipieren, ermöglicht ein gedankliches Probehandeln – ein wichtiger Lernprozess für die Beteiligten!

Tipps

Literatur

Diese Bremer Dienstanweisung ist die Grundlage für den Umgang mit sexueller Belästigung und sexueller Gewalt durch schulische Beschäftigte und vermittelt Mitarbeiter*innen sowie Schulleitungen Handlungssicherheit im Falle eines Verdachts. Eine Checkliste im Anhang kann bei der Entwicklung eines Interventionsplans Anregungen geben.

  • Hölling, Iris/Riedel-Breidenstein, Dagmar/Schlingmann, Thomas (2012): Mädchen und Jungen vor sexueller Gewalt in Institutionen schützen. Handlungsempfehlungen zur Prävention von sexuellem Missbrauch in Institutionen der Jugendhilfe, Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen, Schulen und Kindertagesbetreuungseinrichtungen. (Hrsg.: Der Paritätische Berlin)

Auf den Seiten 27–37 findet sich eine hilfreiche Zusammenstellung der unterschiedlichen zu berücksichtigenden Perspektiven und Zuständigkeiten bei innerinstitutionellen Interventionen.

Zum Rehabilitationsverfahren enthält diese sehr zu empfehlende Arbeitshilfe auf S. 200 f. lesenswerte Ausführungen.

Die Empfehlungen informieren über wichtige Rahmen- und Gelingensbedingungen von Aufarbeitungsprozessen, bieten Orientierung und Handlungssicherheit und bestärken beteiligte Personen darin, Aufarbeitung anzugehen.

  • Maschke, Sabine/Stecher, Ludwig (2018): Sexuelle Gewalt: Erfahrungen Jugendlicher heute. Weinheim: Beltz

Diese Buchveröffentlichung bezieht sich auf die erste Studie der SPEAK-Studienreihe, die auf der Befragung von über 2700 hessischen Schüler*innen der neunten und zehnten Jahrgangsstufe beruht. Die SPEAK-Studienreihe verdeutlicht die hohe Betroffenheit von sexueller Gewalt durch Gleichaltrige. Weitere Informationen zu den Ergebnissen der einzelnen Studienteile finden sich auf der Website des hessischen Kultusministeriums.

  • Die Senatorin für Kinder und Bildung (Bremen) (2019): „Lass das!“ Fachkundiges Vorgehen bei sexuellen und sexualisierten Grenzüberschreitungen unter Schüler*innen

Diese Handreichung für die Schulpraxis bietet Unterstützung für die Entwicklung eines Interventionsplans bei sexueller Gewalt unter Schülern und Schülerinnen über Bremen hinaus.

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III Kooperation

Die Unterstützung durch externe Fachleute ist im Verdachtsfall sowie bei der Entwicklung eines Schutzkonzepts unentbehrlich.

Warum

WARUM?

Wozu dieser Bestandteil? Was haben wir davon?

Zu einem Schutzkonzept gehört die Gewissheit, dass die Schule im Fall eines Verdachts auf sexualisierte Gewalt von Fachleuten unterstützt wird. Dafür sollte unabhängig von einem konkreten Vorfall Kontakt zu schulberatenden Diensten oder – wenn vorhanden – zu einer regionalen Fachberatungsstelle gegen sexuelle Gewalt aufgenommen und gepflegt werden.

Schulberatende Dienste kennen das System Schule gut, Fachberatungsstellen haben zumeist mehr Erfahrung mit der Intervention bei sexueller Gewalt. Für Schulen ist es eine enorme Erleichterung zu wissen, wer sie dabei unterstützt, Verantwortung für den Umgang mit einem Fall von sexueller Gewalt zu tragen.

Lehrkräfte sowie psychologische und sozialpädagogische Fachkräfte, denen in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung bekannt werden, haben einen Anspruch auf Beratung gegenüber dem Jugendamt nach § 4 Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG). Die Beratung erfolgt durch eine „insoweit erfahrene Fachkraft“. Für alle anderen an Schulen beschäftigten Personen, die beruflich im Kontakt mit Kindern und Jugendlichen stehen, gilt der Anspruch auf Beratung in Kinderschutzfragen gegenüber dem Jugendamt nach § 8b Absatz 1 bzw. § 8a Absatz 4 Sozialgesetzbuch – Achtes Buch – Kinder und Jugendhilfe; SGB VIII. Die Beratung erfolgt ebenfalls durch eine „insoweit erfahrene Fachkraft“. Wer die zuständige Fachkraft jeweils ist, erfährt man beim örtlichen Jugendamt.

Über den Einzelfall hinaus ist die Kooperation auch bei der Erstellung des Schutzkonzepts und vor allem bei der Entwicklung eines passgenauen Interventionsplans unbedingt zu empfehlen. In den Interventionsplan sollte die Verpflichtung aufgenommen werden, bei schulinternen Verdachtsfällen einen externen fachkompetenten Kooperationspartner zur Einschätzung und Entscheidungsfindung zum Vorgehen einzubeziehen. So kann Fehlentscheidungen vorgebeugt und sichergestellt werden, dass dem Kindeswohl entsprechend gehandelt wird.

Vielleicht entstehen Bedenken, ob sich die Schule durch diese enge Zusammenarbeit „das Heft aus der Hand nehmen lässt“. Aber Missbrauchsprävention und -intervention sind nicht das „Kerngeschäft“ von Schule. Dabei Rat und Hilfe anzunehmen, bewahrt vor Überforderung. Die Entscheidung über das Schutzkonzept, aber auch die Verantwortung für das konkrete Vorgehen bei Übergriffen oder einem Verdacht verbleibt immer bei der Schule.

Wann

WANN?

sollte dieser Bestandteil entwickelt werden?

Dieser Bestandteil sollte aus zwei Gründen ganz oben auf der Agenda stehen. Zum einen, weil Schulen jederzeit mit einem Fall von sexualisierter Gewalt konfrontiert werden können und dann professionell agieren müssen. Zum anderen ist es sinnvoll, sich bei der Entwicklung von Schutzkonzepten durch externe Fachkräfte unterstützen zu lassen. Damit die Steuerung des Prozesses gut klappt, sollten diese so früh wie möglich einbezogen werden. 

Wer

WER?

sollte die Kooperation herstellen und pflegen?

Was die Unterstützung bei der Entwicklung von Schutzkonzepten betrifft, so ist es sinnvoll, dass die Schulleitung einen diesbezüglichen Kontakt zu einer Fachkraft herstellt. Wo es Fortbildungsbeauftragte gibt, die meist entsprechend vernetzt sind, können diese den Kontakt zwischen Schulleitung und Fachkraft herstellen.

Geht es um die Kooperation in konkreten Verdachtsfällen, so kann diese Aufgabe sinnvollerweise von der Schulsozialarbeit und/oder von Beratungslehrer*innen übernommen werden. Dies gilt allerdings nicht für Fälle, in denen sich ein Verdacht gegen einen Kollegen oder eine Kollegin richtet! Hier liegt die Handlungsverantwortung immer bei der Schulleitung. Aus diesem Grund sollte auch sie die entsprechenden Fachkräfte kennen.

Was

WAS?

Fragen, die beantwortet, Themen, die geklärt werden sollten

Für die beiden Bereiche der Kooperation gibt es verschiedene Themen zu klären:

1. Die Schutzkonzept-Entwicklung: Wer (welcher schulberatende Dienst, welche Fachberatungsstelle) ist in diesem Bereich kompetent, dies zu moderieren und zu begleiten? Ab welchem Zeitpunkt steht die Unterstützung zur Verfügung? Welche Kosten entstehen dabei und wie kann die Finanzierung aussehen?

Entscheidet sich die Schule für diese externe Unterstützung, so kann sie in der Folge einen großen Teil der Verantwortung für die Strukturierung des Prozesses an die Fachkraft abgeben.

2. Unterstützung bei Verdachtsfällen: Wer (welche Fachberatungsstelle, welcher schulberatende Dienst) hat die notwendige Expertise und Erfahrung – auch für Fälle digitaler sexueller Gewalt? Wer steht im Krisenfall zeitnah zur Verfügung?

Bei der Erstellung des Interventionsplans (siehe Bestandteile/INTERVENTIONSPLAN) sollte eine entsprechende Kooperationsvereinbarung getroffen werden, damit im Krisenfall keine Zeit mit der Suche nach geeigneter Unterstützung verloren geht.

Wie

WIE?

finden wir entsprechende Kooperationspartner?

Wenn es darum geht, Fachreferent*innen bzw. Fachberatungsstellen in der Region zu finden, ist es lohnenswert, sich im Kolleg*innen- und Bekanntenkreis umzuhören, ob es bereits Kontakte und gute Erfahrungen gibt. Zudem unterstützen die folgenden Angebote Ihre Suche:

Logo Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch

Darüber hinaus helfen die Fachkräfte am Hilfetelefon der Unabhängigen Beauftragten (0800-2255530) bei der Suche nach Fachberatungsstellen.

Logo Fortbildungsnetz sG

Die Datenbank Fortbildungsnetz sG entwickelt von der DGfPI (Deutsche Gesellschaft für Prävention und Intervention bei Kindesmisshandlung, -vernachlässigung und sexualisierter Gewalt e. V.) und der BZgA (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung), bietet qualifizierte Fortbildungsangebote zu sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend.

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IV Personalverantwortung Icon

IV Personalverantwortung

Prävention und Intervention bei sexueller Gewalt ist „Chefsache“. Die Leitung kann ihre Personalverantwortung schon bei Einstellungen entsprechend nutzen. Im Schulalltag ist die Leitung mit ihrer „kinderschutzaffinen“ Haltung Vorbild und drückt damit zugleich ihre Erwartung an das Kollegium aus.

Warum

WARUM?

Wozu dieser Bestandteil? Was haben wir davon?

Auf die Leitung kommt es an! Ein Schutzkonzept, das nicht von „oben“ getragen wird und das die Leitung nicht selbst in die Pflicht nimmt, kann bei den Mitarbeitenden schnell an Bedeutung verlieren. 

Deshalb ist es wichtig, dass die Leitung(sebene) sich immer wieder zu den einzelnen Bausteinen aktiv bekennt, und dafür Sorge trägt, dass diese gelebte Praxis werden, aber auch, dass sie ihre eigenen im Schutzkonzept skizzierten Aufgaben im Schulalltag umsetzt.

Das gibt Sicherheit für das Kollegium, für Schüler*innen und ihre Eltern. Die vielfältigen und ebenfalls drängenden Aufgaben von Schulleitungen können dazu führen, diesen Bestandteil des Schutzkonzepts nicht oder nicht ausreichend anzugehen. Das ist verständlich, aber angesichts der Bedeutung dieses Themas wäre es wichtig, wenn Leitungen sich im Zweifelsfall daran erinnern bzw. darin unterstützen ließen, es nicht aus den Augen zu verlieren. Diese Aufgabe könnte beispielsweise ein Mitglied der Projektgruppe oder eine Kinderschutzbeauftragte übernehmen, die die Schule benennt.

Wann

WANN?

Sollte dieser Bestandteil entwickelt werden?

Es gibt nicht den einen richtigen Zeitpunkt, den Baustein der Personalverantwortung zu erarbeiten. Es ist jedoch anzuraten, diesen Schritt nicht zu spät anzugehen, denn eine Leitung, die sich selbst eine gewisse Verpflichtung auferlegt, signalisiert, dass sie ein Bemühen um Kinderschutz nicht nur von anderen erwartet.

Ein geeigneter Zeitpunkt ist deshalb beispielsweise nach der Erarbeitung des Verhaltenskodex, der ja die Mitarbeitenden zu bestimmten Verhaltensweisen verpflichtet.

Als günstiger Zeitpunkt bietet sich aber auch die Erarbeitung von Interventionsplänen an, denn deren Funktionieren hängt auch davon ab, inwieweit die Leitung die ihr zugedachte verantwortliche Rolle tatsächlich ausfüllen kann.

Wer

WER?

Sollte Verantwortung tragen?

Verschiedene Leitungsebenen jeweils für ihre Verantwortungsbereiche: die Schulleitung – soweit sie jeweils die Befugnisse hat – für Lehrkräfte, für Referendar*innen, für Schulbegleiter*innen sowie für Ehrenamtliche, die im Bereich Schule eingesetzt werden. 

Viele Schulen haben auch Bereichsleitungen und im Rahmen der Schutzkonzept-Entwicklung sollte festgelegt werden, ob diese eine Funktion im Rahmen der Personalverantwortung übernehmen können und wenn ja, welche. Hat eine Schule einen Hort, einen Ganztagsbereich oder eine andere Form der Betreuung, so obliegt die Personalverantwortung für deren Haupt- und Ehrenamtliche deren Leitung.

Was

WAS?

Gehört zur Personalverantwortung?

Personalverantwortung bedeutet zum einen, die Vorlage des erweiterten Führungszeugnisses zu verlangen, soweit dazu eine rechtliche Befugnis besteht. Dies ist beispielsweise der Fall bei Ehrenamtlichen (z. B. Lesepat*innen, Seniorpartners in School) oder Honorarkräften (z. B. PC-Schulungskräfte, Theaterpädagog*innen), über deren Mitarbeit die Schule selbst entscheidet. 

Fachkräfte, die bei Jugendhilfeträgern angestellt sind (z. B. Schulhelferinnen und -helfer, Erzieherinnen und Erzieher im Ganztagsbereich), haben dort das erweiterte Führungszeugnis vorzulegen (§ 72a Sozialgesetzbuch – Achtes Buch – Kinder und Jugendhilfe; SGB VIII). Bei angestellten oder verbeamteten Lehrkräften liegt diese Befugnis außerhalb des Einflussbereichs der einzelnen Schule. Sie ist Aufgabe der Personalabteilung der Schulaufsicht, soweit das Bundesland die gesetzliche Grundlage aufweist.

Zum anderen sollte die Leitung neue Kolleg*innen – und dazu gehören auch in der Schule Tätige, die bei einem anderen Träger angestellt sind (z. B. Schulbegleiter*innen) – mit dem Anliegen der schulischen Prävention vertraut machen, die entwickelten Instrumente vorstellen und die Erwartung formulieren, dass das Schutzkonzept mitgetragen wird. Konkret kann eine Schulleitung ihre Personalverantwortung auch dadurch ausüben, dass sie – gegebenenfalls in Abstimmung mit dem Personalrat/Lehrerrat – von allen Beschäftigten verlangt, eine Selbstverpflichtungserklärung (siehe Tipps/MATERIAL) zu unterschreiben. Ähnlich dem Leitbild, das ja auch keine rechtliche Verbindlichkeit besitzt, bekräftigt die unterschriebene Selbstverpflichtungserklärung eine kinderschutzfreundliche Haltung, auf die bei kritischen Feedbackgesprächen gut Bezug genommen werden kann. Schulleitungen sollten auch dazu auffordern und dafür werben, an thematischen Fortbildungen teilzunehmen, und damit zeigen, dass sie großen Wert auf ein im Kinderschutz basisqualifiziertes Kollegium legen. Die Aufgabe, Prävention neuen Beschäftigten nahezubringen, ist „Chefsache“ und sollte nach Möglichkeit nicht delegiert werden, damit verdeutlicht wird, welch große Bedeutung Kinderschutz für die betreffende Schule hat.

Deshalb gehört dieses Thema auch in die Bewerbungs- oder Vorstellungsgespräche mit neuen Lehrkräften, pädagogischen Fachkräften oder auch ehrenamtlich in der Schule Tätigen. Fragen nach Erfahrungen mit Präventionsansätzen an früheren Arbeitsplätzen sind hier möglich, aber auch Fragen danach, wie man mit sensiblen Situationen umgehen würde.

Personalverantwortung schließt aber auch ein, Kolleg*innen anzusprechen und kritisch-konstruktiv zu begleiten, wenn ihnen ein Umgang mit Schüler*innen, der ihre Grenzen achtet, oder die Einhaltung des Verhaltenskodex (siehe Bestandteile/VERHALTENSKODEX) bzw. der Selbstverpflichtungserklärung nicht gelingt. Wenn die Leitung sich in solchen Momenten zu sehr zurückhält, diesen Dialog im Sinne des Kinderschutzes zu führen, kann sich im Kollegium Frustration breitmachen: Die Arbeit am Verhaltenskodex und an einer grenzachtenden Schulkultur kann als unnötig – oder sogar als Feigenblatt – empfunden werden, wenn Verstöße doch keine Beachtung finden oder keine Konsequenzen haben.

Ein interner Verdachtsfall ist für jede Schulleitung eine große Herausforderung: Sie hat die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die möglicherweise betroffene Schülerin oder der Schüler geschützt wird, und auch dafür, dass der Kollege bzw. die Kollegin nicht vorverurteilt wird. Gleichzeitig sollte sie das Kollegium nicht aus dem Blick verlieren, denn dieses wird durch einen Verdachtsfall in der Regel zutiefst verunsichert. Die Leitung sollte unbedingt externe Hilfe in Anspruch nehmen – bei schulberatenden Diensten, Fachberatungsstellen (siehe Bestandteile/KOOPERATION) und/oder der Aufsichtsbehörde.

Wie

WIE?

Wird dieses Thema Bestandteil des Schutzkonzepts?

Nach Beratung durch Fachleute könnte die Schulleitung bzw. könnten alle Leitungsverantwortlichen in Schule und Nachmittagsbetreuung bzw. Ganztagsbereich die Aspekte ihrer Personalverantwortung hinsichtlich des Kinderschutzes dem Kollegium vorstellen und dessen Beteiligung sicherstellen, indem Erwartungen an die Leitungsrolle (und Befürchtungen) benannt werden können.

Ein Papier, das die Personalverantwortung beim Kinderschutz skizziert, könnte Bestandteil des schriftlichen Konzepts werden, das sich so auch den neuen Mitarbeitenden leicht vorstellen lässt. 

Tipps

 

Literatur

Diese Expertise des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht e. V. (DIJuF) im Auftrag des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs zeigt anhand der Darstellung der rechtlichen Rahmenbedingungen praxisorientiert auf, wie eine Einrichtung oder Organisation sexuelle Gewalt besser verhindern bzw. mit sexueller Gewalt in der eigenen Einrichtung/Organisation angemessen umgehen kann. Im Fokus stehen u. a. die Fragen, unter welchen Voraussetzungen die Strafverfolgungsbehörden einzuschalten sind und welche arbeitsrechtlichen Möglichkeiten den Verantwortlichen im Falle des Verdachts eines sexuellen Missbrauchs durch eine*n Mitarbeiter*in zur Verfügung stehen.

Material

  • Beispiel für eine Selbstverpflichtungserklärung zum Download
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V Fortbildung Icon

V Fortbildung

Basiswissen über sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen ist für alle schulischen Beschäftigten unerlässlich. Leider wird dieses in den pädagogischen Ausbildungsgängen, im Studium und im Vorbereitungsdienst bislang kaum vermittelt. Deshalb tragen Fortbildungen zur Sensibilisierung bei und sind der richtige Ort, wenn es darum geht, Verunsicherungen und Fragen anzusprechen.

Aus einer neueren Studie des Deutschen Jugendinstituts e. V. stammt die wichtige Erkenntnis, dass die Bereitschaft betroffener Schüler*innen, sich Lehrkräften anzuvertrauen, umso größer ist, je besser diese fortgebildet sind.

Warum

WARUM?

Wozu dieser Baustein? Was haben wir davon?

Im Schutzkonzept sollte die Entscheidung getroffen werden, dass alle Beschäftigten Grundlagenwissen über sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen erwerben und idealerweise regelmäßig aktualisieren. Fehlendes Wissen ist der Boden, auf dem Täterstrategien gedeihen. Und umgekehrt gilt: Wissenserwerb = Prävention. Wer über sexuelle Gewalt Bescheid weiß, kann eher den Gedanken zulassen, dass selbst im eigenen Umfeld Derartiges geschehen kann. Wissen führt zu Sensibilisierung und damit zu Aufmerksamkeit gegenüber Kindern und Jugendlichen, die sich verändern und belastet wirken. Fortbildungen vermitteln Handlungskompetenz, sodass Pädagog*innen leichter den notwendigen Schritt auf Schüler*innen zu machen können, um Gespräche anzubieten und gegebenenfalls weitere Hilfen auf den Weg zu bringen.

Ausreichendes Wissen ist zudem die Grundlage dafür, die Entwicklung des Schutzkonzepts aktiv mitzutragen. Insbesondere die Erarbeitung eines Verhaltenskodex ist ohne Basiswissen über Täterstrategien in Institutionen wie Schulen nur schwer zu leisten. Aber auch die Entwicklung von Handlungsplänen ist nur möglich, wenn man typische Dynamiken zwischen Täter/Täterin und Opfer kennt und auch die Reaktionen, mit denen man im Umfeld von Täter/Täterin und Opfer bei einem Verdacht rechnen muss.

Es gibt aber verständliche Sorgen und Vorbehalte gegen Fortbildungen zum Thema sexuelle Gewalt:

  • „Ist es nicht zu viel für jemanden, der selbst betroffen ist?“
  • „Ist das nicht eine Überforderung für schulische Beschäftigte?“
  • „Was sollen Fortbildungen, wenn man doch nichts tun kann?“
  • „Wird das Thema nicht etwas übertrieben?“
  • „Das Thema ist (zu) belastend.“
  • „Brauchen wirklich alle an der Schule dieses Wissen?“

Um solche Bedenken abzubauen, empfiehlt es sich, sich auf der Startseite des digitalen Grundkurses „Was ist los mit Jaron?“ die dort eingestellten Antwort-Clips zu den genannten Fragen anzusehen.

In Ergänzung und zur Vertiefung von Fortbildungen ist das Eigenstudium von Fachliteratur sehr zu empfehlen. Unter Tipps findet sich eine kleine Auswahl an Fachveröffentlichungen, die sich gezielt an pädagogische Fachkräfte bzw. Schulen richten.

Wann

WANN?

An welcher Stelle sollte dieser Baustein stehen?

Fortbildungen gehören frühzeitig in den Prozess – auf jeden Fall für die Mitarbeitenden der Projektgruppe, die die Entwürfe für die einzelnen Bestandteile des Schutzkonzepts erstellt. Aber auch die anderen Kolleg*innen brauchen rechtzeitig Fortbildungen, denn ohne Basiswissen würde es schwierig, sich am Entwicklungsprozess zu beteiligen und ihn mitzutragen.

Hat die Potenzialanalyse ergeben, dass es unterschiedliche Wissensstände innerhalb des Kollegiums gibt, können auch unterschiedliche Fortbildungslevel sinnvoll sein.

Im Schutzkonzept sollte festgelegt werden, dass auch nach Abschluss des Entwicklungsprozesses thematische Studientage in größeren Abständen angesetzt werden, um das Thema nachhaltig in der Schule zu verankern und spezielle Schwerpunkte wie beispielsweise „Sexuelle Übergriffe unter Schüler*innen“ oder „Sexualisierte Gewalt mittels digitaler Medien“ zu vertiefen. Aufgabe der Schulleitung ist es, alle neuen Beschäftigten aufzufordern und zu motivieren (siehe Bestandteile/PERSONALVERANTWORTUNG), Fortbildungsangebote zum Thema wahrzunehmen, damit das einmal erworbene Wissen im Kollegium nicht durch Personalfluktuation verebbt.

Was

WAS?

Themen, die Fortbildungen enthalten sollten

Je nachdem, wer die Schulungen mit welchem beruflichen Erfahrungshintergrund durchführt, wird die Fortbildung unterschiedliche Schwerpunkte aufweisen. Die folgenden Themenbereiche müssen aber auf jeden Fall behandelt werden.

  • Charakteristika von sexualisierter Gewalt an Mädchen und Jungen durch Erwachsene
  • Definition von sexualisierter Gewalt: Wo fängt sie an?
  • Rechtliche Grundlagen 
  • Prävalenz: Wie viele Mädchen und Jungen sind betroffen? 
  • Wer sind die Opfer? Welche Risikofaktoren gibt es?
  • Wer sind die Täter und Täterinnen? Welche Motive liegen ihrer Tat zugrunde?
  • Welche Folgen hat sexualisierte Gewalt für die Betroffenen? 
  • Dynamiken der Tat
  • Welche Strategien wenden Täter und Täterinnen an, um ein Kind in eine Missbrauchsbeziehung zu verwickeln?
  • Wie ist das Erleben der Betroffenen? Was macht es ihnen schwer, Hilfe zu holen?
  • Warum bekommen Menschen im Umfeld von Täter und Opfer oft nichts von der Tat mit? Warum fällt es so vielen Menschen im konkreten Fall schwer, ihrer Wahrnehmung zu trauen?
  • Was tun bei Verdacht?
    (Der Interventionsplan des schulischen Schutzkonzepts legt konkrete Zuständigkeiten und Abläufe fest. In Fortbildungen hingegen werden die Grundlagen für das Funktionieren von Interventionsplänen vermittelt.)
  • Was muss ich tun? Was darf ich tun? Was sollte ich besser lassen?
  • Muss ich Strafanzeige erstatten?
  • Wofür bin ich verantwortlich? An welcher Stelle muss/darf ich Verantwortung abgeben?
  • Sexualisierte Übergriffe durch Kinder und Jugendliche
  • Definition und Begrifflichkeiten
  • Pädagogischer Umgang
  • Sexualisierte Gewalt im Zusammenhang mit digitalen Medien
  • Formen und Kanäle digitaler sexualisierter Gewalt
  • Welche Folgen hat digitale sexualisierte Gewalt für Betroffene?
  • Rechtlicher und pädagogischer Umgang mit digitaler sexualisierter Gewalt
Wer

WER?

sollte die Fortbildungen durchführen?

Fortbildungen oder Studientage zu sexuellem Missbrauch sollten immer von externen Fachkräften durchgeführt werden. Erfahrene Referent*innen gestalten durch die Auswahl von Inhalten und Methoden die Veranstaltungen betroffenensensibel, d. h., sie berücksichtigen, dass es auch unter schulischen Beschäftigten Menschen gibt, die in ihrer Kindheit und Jugend sexuelle Gewalt erleben mussten. Sie dürfen durch Fortbildungen keinesfalls zu stark belastet werden. Fachreferent*innen sind zudem mit Methoden vertraut, die motivieren und Abwehr abbauen. Sie fordern die Teilnehmenden fachlich und wahren dabei deren persönliche Grenzen.

Es ist dringend davon abzuraten, dass Lehrkräfte oder andere schulische Beschäftigte mit fachlichem Vorwissen selbst die Schulung durchführen. Gerade Kolleg*innen, die dem Thema skeptisch gegenüberstehen, bringen erfahrungsgemäß der Kompetenz externer Expert*innen mehr Vertrauen entgegen.

Logo Hilfe-Portal Sexueller Missbrauch

Adressen von Fachberatungsstellen in der Region, die Referent*innen vermitteln können, bietet die Datenbank des Hilfeportals der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs

Logo Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch

Darüber hinaus helfen die Fachkräfte am Hilfetelefon der Unabhängigen Beauftragten (0800-2255530) bei der Suche nach Fachberatungsstellen und Fortbildungsangeboten.

Logo "Was ist los mit Jaron?" Sprechblase

Eine digitale Fortbildung in Form eines „Serious Game“ bietet die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs gemeinsam mit den Kultusbehörden der Länder an: "Was ist los mit Jaron?" vermittelt schulischen Beschäftigen Basiswissen zum Schutz von Schüler*innen vor sexueller Gewalt. Das kurzweilige und interaktive Format ermöglicht den Teilnehmenden einen an der Schulpraxis orientierten Zugang zum Thema und stärkt ihre Handlungssicherheit. Das Angebot ist überall als Fortbildung anerkannt.

Logo Fortbildungsnetz sG

Die Datenbank Fortbildungsnetz sG entwickelt von der DGfPI (Deutsche Gesellschaft für Prävention und Intervention bei Kindesmisshandlung, -vernachlässigung und sexualisierter Gewalt e. V.) und der BZgA (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung), bietet qualifizierte Fortbildungsangebote zu sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend.

Wie

WIE?

sollten die Fortbildungen stattfinden?

Alle schulischen Beschäftigten – Sekretär*innen und Hausmeister*innen eingeschlossen – benötigen Fortbildungen, und zwar möglichst verpflichtend und nicht nur auf freiwilliger Basis. Damit kann erreicht werden, dass nicht nur die ohnehin Interessierten weiter sensibilisiert werden, sondern alle, die mit Kindern und Jugendlichen in Schule in Kontakt kommen und für sie Verantwortung tragen. Jede und jeder kann für Schüler*innen als Vertrauensperson infrage kommen und sollte sich mit dieser Herausforderung auseinandergesetzt haben. Zudem ist ein Schutzkonzept nur so gut wie die Haltung der schulischen Beschäftigten zu sexueller Gewalt.

TIPPS

 

Material

Diese digitale Fortbildung in Form eines „Serious Game“ bietet die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs gemeinsam mit den Kultusbehörden der Länder an. Dieses kostenlose, ca. vierstündige Angebot vermittelt schulischen Beschäftigen Basiswissen zum Schutz von Schüler*innen vor sexueller Gewalt und stärkt die Handlungssicherheit. Es ist überall als Fortbildung anerkannt.

Mit diesem achtstündigen E-Learning-Angebot lernt man anhand eines Fallbeispiels aus der Schule alle wichtigen Institutionen des Kinderschutzes kennen.

Literatur

  • Miosga, Margit/Schele, Ursula (2018): Sexualisierte Gewalt und Schule – Was Lehrerinnen und Lehrer wissen müssen
  • Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (Hrsg.) (2016): Respekt! Schulen als ideale Orte der Prävention von sexualisierter Gewalt. Eine Handreichung für die Schule im Rahmen von „Trau dich!“, der „Bundesweiten Initiative zur Prävention des sexuellen Kindesmissbrauchs“ des Familienministeriums und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
  • Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs: Geschichten, die zählen – Geschichtenportal

Das Portal enthält persönliche Geschichten von Betroffenen und gibt die Möglichkeit, deren Perspektive kennenzulernen. Dieses Erfahrungswissen vermittelt einen intensiven Eindruck vom Erleben sexualisierter Gewalt und von den (fehlenden) Reaktionen des Umfeldes Betroffener. Durch einen Filter können gezielt Geschichten aus dem Kontext „Schule und Kita“ abgerufen werden.

ZusätzlicheLänderinfos
VI Verhaltenskodex Icon

VI Verhaltenskodex

Verbindliche Vereinbarungen im Kollegium zum Umgang mit Risikosituationen erhöhen die Schwellen für geplante Taten und helfen allen: Sie schützen Schüler*innen vor sexueller Gewalt und geben Beschäftigten Orientierung und Rückhalt – und schützen so vor falschem Verdacht.

Warum

WARUM?

Wozu dieser Bestandteil? Was haben wir davon?

Der Verhaltenskodex schafft mit Transparenz und Professionalität Hürden für die strategische Anbahnung von sexueller Gewalt und reduziert das Risiko, dass Schule zu einem Tatort wird. Er enthält Regeln, die für alle gelten – unabhängig von Geschlecht oder Dienstalter. Der Kodex ist nicht dazu geeignet, Absichten zu erkennen und Täter und Täterinnen zu identifizieren. Er stellt nicht alle unter Generalverdacht, wie so oft befürchtet, sondern trägt der Tatsache Rechnung, dass dort, wo Grenzen nicht für alle gleich sind, Täter und Täterinnen leichtes Spiel dabei haben, Situationen und Gelegenheiten für ihre Absichten zu nutzen. Beschäftigte, die ihr Verhalten am Verhaltenskodex ausrichten, sind „im grünen Bereich“. Wer ihn versehentlich übertritt (Fehlerfreundlichkeit!) oder aus guten Gründen im Einzelfall eine Ausnahme macht, ist verpflichtet, Transparenz herzustellen, also Leitung oder Kolleg*innen darüber zu informieren. Transparenz ist das Gegenteil von Geheimhaltung, die für Täter und Täterinnen essenziell ist. Wer es unterlässt, seine Übertretung mitzuteilen, gerät dadurch nicht automatisch unter Verdacht, sondern kann auf dieses Versäumnis angesprochen und an die Einhaltung des Kodex und die Transparenzpflicht erinnert werden. So hat der Verhaltenskodex den Vorteil, dass er frühes Reagieren bei einer Übertretung von präventiven Regeln ermöglicht, ohne dass schon ein Verdacht entstanden ist.

Ein Beispiel aus der Praxis: Rügt eine Schulleiterin einen Kollegen, weil er einer Schülerin ein exklusives Geburtstagsgeschenk gemacht hat (was gegen den vereinbarten Verhaltenskodex verstieß), muss sie keine Mutmaßungen darüber anstellen, ob eine missbräuchliche Absicht dahinterstand. Und der Kollege muss sich nicht gegen Unterstellungen wehren, sondern kann sich der direkten Kritik stellen. Somit schützt ein Verhaltenskodex auch vor unangemessenen Reaktionen oder Gerüchten.

Idealerweise hätte der Kollege der Schulleiterin selbst davon berichtet, als er sich erinnerte, dass der Verhaltenskodex solche Geschenke nicht erlaubt. Vielleicht gab es aber auch einen guten Grund für das Geschenk und damit für eine Ausnahme: Die Schülerin hat ein seltenes Hobby und dem Lehrer war dazu eine interessante Broschüre in die Hände gefallen, die er ihr anlässlich ihres Geburtstags schenkte.

Wann

WANN?

sollte dieser Bestandteil entwickelt werden?

Die Arbeit am Verhaltenskodex sollte nicht am Anfang des Prozesses stehen, sondern erst nach thematischen Fortbildungen beginnen. Denn nur wenn in Fortbildungen die Bedeutung von Täterstrategien vermittelt wurde, kann der große Nutzen dieses Instruments erkannt und seine Entwicklung gut mitgetragen werden. Nach der Risikoanalyse zum 1. Risiko („Welche Situationen sowie strukturellen und räumlichen Gegebenheiten erhöhen die Gefahr, dass hier sexuelle Gewalt passiert?“) ist der richtige Zeitpunkt gekommen, den Verhaltenskodex zu entwickeln. Denn durch die Risikoanalyse wurde deutlich: Schule birgt für Täter und Täterinnen viele Möglichkeiten, die nicht durch individuelle, sondern nur durch institutionelle Maßnahmen eingeschränkt werden können.

Wer

WER?

sollte den Verhaltenskodex erarbeiten?

Manche Beschäftigte könnten Vorbehalte gegen einen Verhaltenskodex haben, weil sie „Gängelung“ und Kontrolle darin sehen. Würde man ihn von oben verordnen, so wäre diese Gefahr groß. Deshalb ist die partizipative Erarbeitung – durch die Schulleitung und möglichst das ganze Kollegium – unerlässlich.

Nur dann kann er auch die Zustimmung von allen finden und gelebte Alltagspraxis werden. Zudem bietet dieses Vorgehen die Chance, dass Beschäftigte die Erfahrung machen, persönlich davon zu profitieren, weil sie mehr Verhaltenssicherheit bekommen. Bei der Entwicklung des Kodex wird im Kollegium eine Feedbackkultur geübt, die zeigt, dass alles zum Thema Nähe und Distanz jenseits der Strafbarkeit besprechbar ist und nicht hinter dem Rücken Einzelner geredet wird. Das hilft dabei, sich mit dem eigenen Umgang mit Nähe und Distanz zu beschäftigen und sich auch selbstkritisch zu hinterfragen. Gerade die Frage „Wie könnten Außenstehende mein Verhalten interpretieren?“ ist hier hilfreich.

Was

WAS?

sollte der Verhaltenskodex regeln?

Zunächst zur Klarstellung, was ein Verhaltenskodex nicht ist: Er ist keine Wiedergabe des Strafgesetzbuches („Wir verüben keine sexuelle Gewalt“) und keine Beschreibung von ethischen und pädagogischen Haltungen, wie sie in einem Leitbild zu finden sind („Wir orientieren uns an den Kinderrechten“). Damit der Verhaltenskodex seine Wirkung erzielen kann, benennt er konkretes Verhalten, das in bestimmten Situationen erwartet wird oder unterlassen werden muss („Es gibt keine individuellen Geschenke von Lehrkräften an Schüler*innen“). Ein Verhaltenskodex ist also kein Haltungskodex, denn Haltungen lassen Interpretationsspielräume und abweichende Haltungen sind nur schwer ansprechbar.

Aber die Diskussion über die Gestaltung der pädagogischen Beziehung im Hinblick auf Nähe und Distanz und eine Verständigung auf gemeinsame Haltungen sind die Voraussetzungen dafür, dass konkrete Verhaltensregeln daraus abgeleitet werden können. Hilfreich kann es sein, dabei vom Positiven auszugehen und zunächst zu definieren, wie professionelle Nähe im Schulalltag aussehen kann, sowie sich klarzumachen, wie wichtig diese in der pädagogischen Beziehung ist. Wichtig ist in diesem Prozess, immer wieder zu überlegen, welches Verhalten zur Rolle von schulischen Beschäftigten passt und welchen Auftrag Schule jeweils hat. Auf dieser Grundlage können dann alltagstaugliche Regelungen für bestimmte Situationen entwickelt werden, die für sexuelle Gewalt leicht ausgenutzt werden könnten und die durch die Risikoanalyse und auch durch weitergehende Befragungen zutage getreten sind (z. B. Umkleidesituationen, private Kontakte zu Schüler*innen, Umgang mit Fotos, Kontakte in sozialen Netzwerken, Vier-Augen-Situationen, Hilfestellungen oder körperliche Nähe im Sportunterricht).

Ein Verhaltenskodex muss überschaubar bleiben. Er sollte sich auf Standardsituationen oder besonders anfällige Konstellationen beziehen. Er darf keinesfalls zur Überregulierung pädagogischen Handelns führen, indem etwa jede denkbare pädagogische Alltagssituation darin festgeschrieben wird. Insbesondere individuelle pädagogische Spielräume dürfen dem Verhaltenskodex nicht gänzlich untergeordnet werden.

Bei der Diskussion sollte man auch die Punkte im Arbeitsalltag identifizieren, an denen Grenzverletzungen durch strukturelle Bedingungen entstehen (können). Ein Beispiel: In einer Schule für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen gehört auch die körperliche Assistenz zum Alltag. So brauchen manche Schüler*innen Unterstützung beim Toilettengang oder sie tragen Windeln, die gewechselt werden müssen. Pädagog*innen und Pflegekräfte sind sich weitgehend einig darin, dass etwa ein Junge in der Pubertät idealerweise Assistenz durch einen Mann erhalten sollte. Dennoch kann keine entsprechende Regel in den Verhaltenskodex übernommen werden, wenn es nicht genügend männliche Beschäftigte gibt, weil sie zwangsläufig immer wieder übertreten werden würde.

Formulierungsvorschläge zu den Zielen, der Verbindlichkeit und der erforderlichen Transparenz finden sich unter Tipps/MATERIAL.

Wie

WIE?

sollte der Verhaltenskodex erarbeitet werden?

Der erste Schritt wird im Rahmen der Risikoanalyse gemacht, wenn Situationen und Gelegenheiten identifiziert werden, die man ausnutzen kann, um sexuelle Gewalt vorzubereiten oder auszuüben. Es sind Momente, Gepflogenheiten und Prozesse, die sich beispielsweise dazu eignen …

  • Abhängigkeiten herzustellen (Beispiel: Geschenke an einzelne Schüler*innen)
  • zu große Nähe aufzubauen (Beispiel: innige Umarmungen mit Schüler*innen als Zeichen freundschaftlicher Verbundenheit)
  • Schüler*innen für Grenzüberschreitungen zu desensibilisieren (Beispiel: gemeinsames Umkleiden beim Sportunterricht)
  • sich kollegialer Kontrolle zu entziehen (Beispiel: Freundschaften mit Schüler*innen in den sozialen Netzwerken)

Diese sollten durch Fragen an das Kollegium konkretisiert und mit Alltagserfahrungen gefüllt werden. Die Beschäftigten können eigene Situationen beitragen, in denen sie sich nicht sicher sind, welches Verhalten zu ihrer Rolle passt, was von ihnen erwartet wird und wie Kolleg*innen mit vergleichbaren Situationen umgehen. Zur Anregung können auch die Beispiele dienen, die in der unter Tipps genannten Literaturempfehlung auf Seite 10/11 genannt werden. Die Projektgruppe formuliert für die gesammelten Situationen mögliche Verhaltensregeln, die dann zur Diskussion ins Kollegium zurückgetragen werden.

Die Eltern sollten über die Elternbeiräte bzw. Elternvertretungen über den Prozess informiert werden und auf diesem Weg ebenfalls die Möglichkeit haben, Anregungen zu geben. Der erstellte Verhaltenskodex muss nun durch die Projektgruppe in die Schulgemeinschaft kommuniziert werden, etwa über Informationen in allen Klassen, in der Gesamtkonferenz, in der Elternbeiratssitzung, auf Elternabenden oder über Plakate. Nur wenn alle wissen, welche Regeln sich die Beschäftigten gegeben haben, besteht im Einzelfall die Möglichkeit, sich bei Übertretungen zu beschweren (siehe Bestandteile/ANSPRECHSTELLEN UND BESCHWERDESTRUKTUREN).

Tipps

 

Material

  • Formulierungsvorschläge zu Zielen, Verbindlichkeit und erforderlicher Transparenz des Verhaltenskodex zum Download

Literatur

Diese sehr empfehlenswerte Veröffentlichung der Schweizer Fachstelle Limita ordnet den Verhaltenskodex als präventives Instrument zwischen Risikoanalyse und Partizipation ein, beleuchtet seine Vorzüge sowie Potenziale und beschreibt sehr konkret seine Entwicklung.

ZusätzlicheLänderinfos
VII Partizipation Icon

VII Partizipation

Schulische Mitbestimmung stärkt Kinder und Jugendliche. Eine beteiligungsorientierte Schule erleichtert Schüler*innen den Zugang zu Kinderrechten und ermutigt sie, sich bei Problemen Hilfe und Unterstützung zu holen.

Warum

WARUM?

Wozu dieser Bestandteil? Was haben wir davon?

Partizipation ist für die Entwicklung des Schutzkonzepts von erheblicher Bedeutung. Darüber hinaus stellt Partizipation einen eigenständigen und sehr zentralen Bestandteil von schulischen Schutzkonzepten dar. 

Die systematische Beteiligung von Schüler*innen an Entscheidungen, die sie betreffen, stärkt ihre Position und verringert das Machtgefälle gegenüber Lehrkräften und anderen schulischen Beschäftigten – ein Machtgefälle, das Schule innewohnt. Eine beteiligungsorientierte Schule macht Schüler*innen kritikfähig, ermöglicht es ihnen, sich für ihre Interessen und Rechte einzusetzen. Nur wenn Schüler*innen „im Kleinen“ merken, dass dies erfolgreich ist, können sie es sich auch „im Großen“ trauen, sich bemerkbar zu machen und sich abzugrenzen, wenn eine Lehrkraft ihre Grenzen verletzt.

Schulen, die auch die Mitwirkungs- und Informationsrechte der Elternschaft nicht nur formal umsetzen, sondern sie auch fördern, präsentieren sich als transparente, fehlerfreundliche Institutionen, die sich „in die Karten schauen lassen“ und bereit sind, sich weiterzuentwickeln. Ein wichtiger Schutzfaktor gegen Täterstrategien! Wenn Eltern Schule als offen für Nachfragen, Anregungen und Kritik erleben, ist die Chance groß, dass sie Unsicherheiten und beobachtete Missstände ansprechen. Betrachten Eltern Schule als Partnerin, so werden sie Präventionsangebote und eine engagierte Sexualpädagogik in der Schule nicht als Einmischung in ihre Erziehung ablehnen, sondern als deren fachkompetente Ergänzung gutheißen.

Wann

WANN?

An welcher Stelle sollte dieser Bestandteil stehen?

Während der Potenzial- und Risikoanalyse, also zu Beginn der Konzeptentwicklung, wird dieser Bestandteil identifiziert und kann zu verschiedenen Phasen des Prozesses bearbeitet werden.

Wer

WER?

sollte diesen Bestandteil entwickeln?

Zur Entwicklung dieses Bestandteils sollte die Projektgruppe sinnvollerweise um Vertreter*innen der Schüler*innen und der Elternschaft erweitert werden.

Diese erweiterte Gruppe kann Fragen an einzelne Klassen oder Gremien formulieren oder Veränderungsvorschläge diskutieren lassen, aber es brauchen nicht alle Schüler*innen einbezogen zu werden. Die Ideen zur Weiterentwicklung von Mitbestimmungsmöglichkeiten werden dann in den vorhandenen Entscheidungsgremien abgestimmt. Diese konkreten Ergebnisse müssen so kommuniziert werden, dass in der Folge alle die neuen oder erweiterten Beteiligungsformen nutzen bzw. einfordern können.

Was

WAS?

Themen und Wege der Partizipation

Das Ziel ist, Beteiligung zu einer gelebten Haltung im Schulalltag werden zu lassen. Dazu sollte die Projektgruppe sammeln, in welchen Bereichen Schüler*innen die Möglichkeit zur Mitbestimmung haben sollten bzw. bereits haben (Potenzialanalyse). Dabei wird sicherlich deutlich werden, dass die Optionen der Mitgestaltung im Kerngeschäft, also im Unterricht, deutlich geringer sind als in der Organisation des Schullebens. Die gleichen Überlegungen sind für die Zielgruppe der Eltern anzustellen: Wo und in welchen Formaten können und sollen sich Eltern einbringen? Dabei sollte auch ein Austausch zu der Frage stattfinden: Welcher Grad der Mitbestimmung ist jeweils gemeint? Wer darf jeweils Wünsche, Einschätzungen und Ideen äußern? Wer hat letztlich die Entscheidungsbefugnis? Wessen Wünsche müssen in der Entscheidung berücksichtigt werden? Und über wessen Einspruch darf man sich nicht hinwegsetzen? Hier ist es hilfreich, zur Überprüfung des tatsächlichen Partizipationsgrades das Modell "Stufen der Partizipation" zu verwenden (siehe Tipps/MATERIAL).

Weiter ist zu überlegen, welche formellen und informellen Strukturen und Wege der Beteiligung es geben soll. Dabei kommt natürlich den Mitbestimmungsformen und -gremien wie Klassenrat, Klassensprecher*innen, Schüler*innen-Vertretung, Schüler*innen-Parlament bzw. Elternsprecher*innen und Elternbeirat eine besondere Bedeutung zu. Die Potenzialanalyse kann Aufschluss darüber geben, ob die Möglichkeiten der Mitbestimmung gut genutzt und ausgeschöpft werden und wo noch Entwicklungsbedarfe bestehen. Unter inklusiven und Gleichstellungsgesichtspunkten ist zudem zu überdenken, ob diese Gremien tatsächlich repräsentativ besetzt sind und wenn nicht, wie das gegebenenfalls zu verändern wäre.

Wie

WIE?

sollte der Bestandteil entwickelt werden?

Ausgehend von den Ergebnissen der Potenzialanalyse beschäftigt sich die – wie oben erwähnt erweiterte – Projektgruppe vertieft mit den genannten Fragestellungen, indem sie zunächst den Ist-Zustand erfasst und prüft, wieweit vorhandene Mitbestimmungsmöglichkeiten genutzt werden und wo neue Möglichkeiten geschaffen werden könnten.

Bei Befragungen oder Diskussionen in einzelnen Klassen oder Gremien kann die Frage, wie zufrieden Schüler*innen und Eltern mit ihren Spielräumen der Mitbestimmung sind, leitend sein – aber auch die Frage, wann Interessen oder Belange der Klasse oder der Elternschaft übergangen wurden. Die Diskussionsergebnisse helfen, Ideen zu generieren, wie Partizipation in der eigenen Schule weiterentwickelt werden kann.

Tipps


Literatur

  • Krappmann, Lothar/Petry, Christian (Hrsg.) (2016): Worauf Kinder und Jugendliche ein Recht haben. Kinderrechte, Demokratie und Schule: Ein Manifest. Schwalbach
  • Deutscher Bundesjugendring/Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2022): Qualitätsstandards für Kinder- und Jugendbeteiligung

Diese Veröffentlichung beschreibt die Anforderungen an die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen und konkretisiert sie für verschiedene pädagogische Handlungsfelder wie z. B. für Schule und Ganztag (Kapitel 6.3).

Material

Diese von EDUCATION Y Bildung. Gemeinsam. Gestalten. erstellte Website thematisiert anschaulich und im Unterricht einsetzbar das Thema Kinderechte. Zu Möglichkeiten von Partizipation in Schule stellt eine Unterseite verschiedene Materialien wie auch ein Quiz zur Einschätzung der Stufe der Partizipation zur Verfügung.

  • Elterninformation zu Konzepten zum Schutz vor sexueller Gewalt in Schulen zum Download
  • Elterninformation in Leichter Sprache zu Konzepten zum Schutz vor sexueller Gewalt in Schulen zum Download
ZusätzlicheLänderinfos
VIII Präventionsangebote Icon

VIII Präventionsangebote

Schule ist der Ort, der durch eine gelebte präventive Erziehungshaltung und konkrete Präventionsangebote den Schutz aller Mädchen und Jungen vor sexueller Gewalt erhöhen kann.

Warum

WARUM?

Wozu dieser Bestandteil?

Der Bestandteil „Präventionsangebote“ beschreibt im Schutzkonzept die Bedeutung pädagogischer Prävention im Schulalltag und definiert hierfür spezielle Maßnahmen und Projekte.

Pädagogische Prävention verfolgt zwei Ziele: Außer um den Schutz von Schüler*innen durch eine präventive Erziehungshaltung im (Schul-)Alltag geht es auch um Schutz durch Wissen, nämlich Aufklärung über sexuellen Missbrauch im analogen und digitalen Raum und eine altersangemessene Auseinandersetzung mit sexuellen Themen. Angesichts der Tatsache, dass sehr viele Mädchen und Jungen von sexualisierter Gewalt bedroht und betroffen sind, ist es wichtig, dass sie schon frühzeitig (d. h. schon ab der Grundschule) fachlich gute Informationen darüber erhalten, um sich besser schützen zu können bzw. Hilfe zu bekommen.

  • Nur ein Kind, das weiß, was sexueller Missbrauch ist, kann übergriffiges Verhalten richtig einschätzen und sich entsprechend verhalten.
  • Nur ein Mädchen, das weiß, dass zudringliches Verhalten keine Spielart von Sexualität und keineswegs ein deutliches Zeichen eines positiven sexuellen Interesses ist, kann dieses Verhalten als Missachtung seiner Grenzen einordnen.
  • Nur ein Jugendlicher, der über Täterstrategien in den digitalen Medien Bescheid weiß, hat die Chance, sie rechtzeitig zu bemerken.

Deshalb bahnen Präventionsangebote immer auch den Weg zur Intervention. Betroffene Schüler*innen, die im Unterricht(-sprojekt) lernen, was sexueller Missbrauch ist und mit welchen Grenzüberschreitungen er angebahnt wird, dass jegliche sexuelle Gewalt – auch unter Gleichaltrigen – verboten ist (unabhängig davon, wie sich das betroffene Mädchen oder der betroffene Junge verhalten hat) und wo Betroffene Hilfe finden, bekommen so einen Weg aufgezeigt, sich selbst Unterstützung zu suchen. Auch die Information, dass Minderjährige in Not- und Konfliktlagen das Recht haben, sich ohne Wissen der Eltern vom Jugendamt beraten zu lassen (§ 8 Absatz 3 Sozialgesetzbuch – Achtes Buch – Kinder und Jugendhilfe; SGB VIII), eröffnet einen sonst womöglich verschlossenen Weg zu Hilfe.

Damit sich eine Schule mit diesem Bestandteil nicht zeitlich und inhaltlich überfordert, ist es gut zu wissen, dass es im Wesentlichen auf die Haltung ankommt: auf Prävention, die im Alltag stattfindet. Ergänzt wird diese präventive Haltung durch konkrete Angebote und Projekte, die auch von externen Fachleuten durchgeführt oder unterstützt werden können.

Wann

WANN?

sollte dieser Bestandteil entwickelt werden?

Thematisierung und konkrete Aufklärung über sexuelle Gewalt haben oftmals eine aufdeckende Wirkung. Das bedeutet, dass damit zu rechnen ist, dass sich in der Folge von Präventionsangeboten betroffene Schüler*innen Hilfe suchend an schulische Vertrauenspersonen wenden. Deshalb sollten die Bestandteile „Interventionsplan“ sowie „Ansprechstellen und Beschwerdestrukturen“ zuerst (weiter-)entwickelt werden. 

Wer

WER?

sollte den Bestandteil entwickeln?

Die Projektgruppe sollte – gegebenenfalls nach Rücksprache mit Kolleg*innen, die über praktische Erfahrungen in der Präventionsarbeit verfügen, – einen ersten Vorschlag entwickeln und mit dem Kollegium abstimmen. Es ist auch möglich, die Erarbeitung dieses Bestandteils an die erfahrenen Kolleg*innen zu delegieren.

Gerade bei den Präventionsaspekten Medien- und Sexualpädagogik ist die Expertise von Lehrkräften gefragt, die häufig oder jedenfalls mit hoher Motivation Sexualerziehung in ihren Unterricht integrieren bzw. medienpädagogische Fragen aktiv einbringen. Ihre Erfahrung ist eine wichtige Ressource, die die Schule nutzen kann, ohne aber das Thema ihnen zuzuschieben. Wichtig ist, dass dieser Bestandteil des Schutzkonzepts von allen schulischen Beschäftigten umgesetzt wird.

Was

WAS?

Fragen, die beantwortet, Themen, die bearbeitet werden müssen

Pädagogische Prävention ist vielschichtig, viele schulische Situationen und Strukturen bieten hier Anknüpfungspunkte. Drei Themenbereiche für die Zielgruppe der Schüler*innen sollten konzeptionell berücksichtigt werden:

  • 1. Präventive Haltung im Schulalltag + Präventionsangebote gegen Missbrauch
  • 2. Sexualpädagogik
  • 3. Medienpädagogik

Zu allen drei Themenbereichen muss es entsprechende Angebote für Eltern geben:

  • 4. Präventionsangebote für Eltern

1. Präventive Haltung im Schulalltag

Viele Aspekte dieser Haltung sind nicht spezifisch für sexualisierte Gewalt, sondern genauso bedeutsam etwa für die Sucht- oder die Gewaltprävention allgemein. 

  • Zu einer präventiven Haltung gehört, die eigene Machtposition als schulische Beschäftigte kontinuierlich zu reflektieren und gegenüber Schüler*innen einen respektvollen, grenzwahrenden Umgang, wie er auch im Verhaltenskodex formuliert ist, zu praktizieren.
  • Dazu gehört weiterhin ein kritisch-bewusster Umgang mit Geschlechterrollen. Der Schulalltag bietet vielfältige Ansätze, um Frauen- und Männerbilder kritisch zu hinterfragen. Beispielsweise können Lehrkräfte überprüfen, inwieweit verwendete Unterrichtsmaterialien noch immer tradierte Geschlechtsstereotype enthalten, und – wenn sie dennoch verwendet werden sollen – mit Schüler*innen dazu ins Gespräch zu gehen. Fast alle Unterrichtsfächer bieten auch immer wieder Gelegenheiten, das Thema sexualisierte Gewalt direkt anzusprechen, sei es in Religion beim Thema „Familie“ oder in Geschichte beim Thema „antikes Griechenland“.
  • Zu einer präventiven Haltung gehört weiterhin, selbstwertstärkend zu arbeiten, also Schüler*innen in ihren Stärken zu würdigen und bei ihren Schwächen zu unterstützen, wie es Schulen in der Regel auch tun. Demütigende Auswahlpraxen im Sportunterricht oder das „Wettrechnen“ in Mathe, bei denen immer die gleichen Kinder bis zum Schluss stehen bleiben, sollten der Vergangenheit angehören.
  • Weitere Aspekte der präventiven Haltung sind die Fehlerfreundlichkeit und Ansprechkultur einer Einrichtung, wie sie beim Punkt „Ansprechstellen und Beschwerdestrukturen“ angesprochen werden. Je besser sie in der Schule gelebt werden, umso mehr verinnerlichen Schüler*innen diese Haltung und sind in der Lage, auch alltägliche Grenzverletzungen zu thematisieren und damit auch Übergriffe schneller zu beenden und besser zu verarbeiten. Ein wichtiger Erfolg von Prävention!

Hilfreich ist auch eine Orientierung an den sogenannten Präventionsthemen, wie sie sich in vielen Fachveröffentlichungen finden und die in speziellen Fortbildungsangeboten vermittelt werden. Weitere Informationen bietet die Website der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs.

... und Präventionsangebote gegen Missbrauch

Neben dem Nutzen alltäglicher Situationen, wenn es um das Ansprechen präventiver Inhalte geht, ist es auch wichtig, regelmäßige, explizite Angebote zu machen und diese anlassbezogen durch spezielle Veranstaltungen zu ergänzen.

Unterrichtseinheiten zu sexuellem Missbrauch, zu Kinderrechten und ganz explizit zum Recht auf elternunabhängige Beratung durch das Jugendamt in Not- und Konfliktlagen, zu Übergriffen durch Kinder und Jugendliche sowie zu schulischen bzw. regionalen Hilfestrukturen sollten altersbezogen durchgeführt werden. Externe Fachkräfte aus Fachstellen zu sexualisierter Gewalt können eingeladen werden, um eine Unterrichtseinheit, Workshops oder Projekttage zu gestalten und im Anschluss gegebenenfalls eine Sprechstunde in der Schule anzubieten.

Insbesondere müssen Präventionsangebote den Eindruck vermeiden, dass Missbrauch die Zukunft eines betroffenen Kindes zerstört. Vielmehr sollte erklärt werden, dass Missbrauch Menschen stark belasten, aber durch Trost, Unterstützung und gegebenenfalls Therapie verarbeitet werden kann.

Wer selbstständig Aufklärung über sexuellen Missbrauch in der Klasse durchführen will, sollte die folgenden Aspekte vermitteln:

  • dass nicht nur Mädchen, sondern auch Jungen sexuelle Gewalt widerfahren kann
  • dass Männer, aber auch Jugendliche und manchmal auch Frauen Täter bzw. Täterinnen sein können
  • dass die meisten Menschen Mädchen und Jungen keine sexuelle Gewalt antun
  • dass man den meisten Tätern und Täterinnen ihre Absichten nicht ansieht und sie oft sogar sympathisch sind
  • dass es häufig bekannte und vertraute Menschen und nur selten Fremde sind
  • dass sexueller Missbrauch nichts mit Liebe zu tun hat
  • dass Missbrauch oft strategisch angebahnt wird
  • dass sexueller Missbrauch aufseiten der Kinder und Jugendlichen oft mit komischen und verwirrenden Gefühlen beginnt
  • dass bei betroffenen Kindern und Jugendlichen keine Schuld liegt
  • dass Mädchen und Jungen auch in Chatrooms und in sozialen Netzwerken sexuelle Gewalt widerfahren kann
  • dass es auch sexuelle Übergriffe unter Kindern oder unter Jugendlichen gibt und dass man auch in diesen Fällen ein Recht auf Hilfe hat

Es ist sehr zu empfehlen, bei der selbstständigen Aufklärungsarbeit über sexuellen Missbrauch Materialien aus Fachstellen zu verwenden, wie z. B. den Trickfilm „Sexueller Missbrauch – Infos für Kids“ (siehe Tipps/MATERIAL PRÄVENTION), der zentrale Botschaften für die Präventionsarbeit mit Kindern ab dem Grundschulalter enthält. Für die präventive Arbeit mit Grundschüler*innen mit kognitiven Beeinträchtigungen eignen sich beispielsweise die Materialien des Projekts „Ben und Stella“ (siehe Tipps/MATERIAL PRÄVENTION). Jugendliche Schüler*innen mit kognitiven Beeinträchtigungen können beispielsweise durch den Comic (mit Manual) „Alles Liebe“ (siehe Tipps/MATERIAL PRÄVENTION) das Thema sexueller Missbrauch kennenlernen. Die meisten Materialien für Jugendliche fokussieren das Spannungsfeld „Sexualität zwischen einverständlichen und grenzüberschreitenden Situationen unter Gleichaltrigen“ (auch dazu siehe Tipps/MATERIAL PRÄVENTION). Für jugendliche Schüler*innen sollten schulische Präventionsangebote deshalb auch explizit sexuellen Missbrauch durch Erwachsene thematisieren.

Weil betroffene Jugendliche, aber auch Kinder oft als Erstes ihre Freund*innen ins Vertrauen ziehen, muss in der Präventionsarbeit immer auch an diese Zielgruppe gedacht werden. Viele Jugendliche und Kinder fühlen sich unsicher, wie sie mit dieser Information umgehen sollen, was sie sagen, wie sie reagieren sollen. Auf solche Situationen, ihre Möglichkeiten und Chancen, aber auch ihre möglichen Belastungen sollten Jugendliche und Kinder vorbereitet werden. Für die Arbeit mit jugendlichen Schüler*innen kann beispielsweise auf das Angebot washilft.org (siehe Tipps/MATERIAL PRÄVENTION) zurückgegriffen werden.

Eine kleine Auswahl an bundesweiten Theaterstücken, Ausstellungen und anderen Projekten findet sich unter Tipps/PROJEKTE.

2. Sexualpädagogik

Pädagogische Prävention ist mehr als Sexualpädagogik, aber ohne Sexualpädagogik wäre Prävention unzureichend. Wissen und Sprechen über sexuelle Themen stellen einen wichtigen Schutz dar: Wer über Sexualität gut informiert ist, kann leichter über sexuelle Gewalt sprechen und sie von Sexualität unterscheiden.

Deshalb kann die Schule im Rahmen des Bestandteils „Präventionsangebote“ die Bedeutung der Sexualerziehung im Rahmen des Lehrplans betonen und eigene Schwerpunkte setzen. Darüber hinaus sollte sich das Kollegium verpflichten, anlassbezogen und fächerübergreifend im Schulalltag auf sexuelle Themen und sexuelle Aktivitäten einzugehen, aber auch auf sexuelle Übergriffe durch Schüler und Schülerinnen fachlich angemessen zu reagieren. Die Richtlinien und Lehrpläne der Bundesländer zur schulischen Sexualerziehung bieten hier konkrete Hinweise zur Ausgestaltung und Umsetzung. Zur Unterstützung gibt es zum Teil spezifische Handreichungen und Unterrichtsmaterialien zur Sexualerziehung. Fachleute von pro familia oder von Familienplanungszentren können hier beraten und punktuell unterstützen. Damit diese konzeptionelle „Selbstverpflichtung“ auch tatsächlich gelingt, sind thematische Fortbildungen und Studientage zu empfehlen, denn Sexualerziehung führt in vielen Lehramtsausbildungen, wie Studien zeigen, nach wie vor ein Schattendasein.

Präventionsangebote unmittelbar in sexualpädagogische Arbeit zu integrieren, ist jedoch nicht ratsam. Im Rahmen von sexualpädagogischem Unterricht über Missbrauch und andere Formen sexueller Gewalt aufzuklären, kann bei Schüler*innen zu dem Eindruck führen, sexueller Missbrauch sei eine (negative) Form von Sexualität. Kinder profitieren allerdings am meisten von Angeboten zum Schutz vor sexueller Gewalt, wenn sie vorher eine ganzheitlich und positiv orientierte Sexualerziehung erfahren haben, die ihnen fachlich fundierte Informationen, Lebenskompetenzen und Werte im Umgang mit Körper, Sexualität und Beziehungen vermittelt. Mit der Trennung sexualpädagogischer Angebote von Aufklärung über sexuelle Gewalt signalisiert die Schule, dass sexueller Missbrauch eine Form von Gewalt ist.

3. Medienpädagogik

Die meisten Kinder und Jugendlichen im Schulalter besitzen eigene Smartphones oder Tablets oder haben zumindest Zugang dazu. Über soziale Plattformen, Games oder Messenger können Täter und Täterinnen in einem ungeschützten Raum sexuelle Kontakte anbahnen, sogenanntes Cybergrooming. Sexualisierte Gewalt kann aber auch unter Minderjährigen stattfinden, z. B. durch das unerlaubte Weiterleiten von selbst erstellten erotischen Aufnahmen (Sexting) oder durch die Verbreitung von Missbrauchsdarstellungen durch Kinder und Jugendliche selbst, die sich über die Bedeutung ihres Tuns oft gar nicht im Klaren sind. Auch von sexuellen Übergriffen aufgrund von Social-Media-Trends, die zu grenzverletzendem Verhalten ermutigen und die auf Schulhöfen kursieren, sind Schüler*innen betroffen.

Präventionsangebote sollten daher immer auch den digitalen Raum einbeziehen und darauf abzielen, Schüler*innen zur kritischen Auseinandersetzung mit digitalen Medien zu befähigen, anstatt sie davor nur zur warnen und zu bewahren.

Medienpädagogik ist für Schulen selbstverständlich kein Neuland. Spätestens seit die Kultusministerkonferenz 2016 die Strategie „Bildung in der digitalen Welt“ verabschiedet hat und die Länder diese mit eigenen Beschlüssen untersetzt haben, hat sie zunehmende Bedeutung in den einzelnen Schulen erlangt. Ziel ist es, dass alle Schüler*innen bis zum Ende der Pflichtschulzeit bestimmte Medienkompetenzen wie das Erkennen von Risiken in der digitalen Welt, das sichere Kommunizieren, kritische Analysieren und Reflektieren von digitalen Diensten erwerben.

Weil das Thema digitale sexualisierte Gewalt jedoch oft noch nicht explizit und ausreichend berücksichtigt wird, sollte die medienpädagogische Prävention von sexueller Gewalt im Rahmen des Schutzkonzepts verbindlich formuliert werden. Dazu gehört, welche digitalen Geräte und Medien wann im Schulalltag genutzt werden (sowohl von Schüler*innen als auch von Lehrkräften), welche Regeln für den Klassenchat oder den Umgang mit Fotos gelten und eine Vereinbarung, dass Lehrkräfte fächerübergreifend, altersangemessen und wiederholt an geeigneten Stellen im Unterricht Risiken von (sexualisierter) Gewalt im Umgang im digitalen Raum thematisieren. Und nicht zuletzt gehört zu medienpädagogischer Prävention, Schüler*innen zu vermitteln, wo es in schwierigen Situationen Unterstützung und schnelle Hilfe gibt. Übrigens: Laut einer Studie der Landesmedienanstalt NRW von 2022 zu Cybergrooming wünschen sich 65 % der befragten Schüler*innen, dass Schule dieses Thema stärker behandelt!

Im Unterricht kann konzeptionell an vielen Themen angesetzt werden: Beispielsweise kann im Unterrichtsfach Geschichte das Thema über die Entstehung der Kinderrechtskonvention eingeleitet werden, in Englisch über die kritische Analyse von Songtexten, in Deutsch über die Veränderung von Sprache (Jugendsprache, Chatsprache), in Ethik über das Thema Geschlechterstereotype. Auf der Website „Wissen hilft schützen“ (Tipps/MEDIENPÄDAGOGIK) finden sich hilfreiche Materialien für den Unterricht, vom sicheren Erstellen von Profilen über Selbstdarstellungen bis zu Sexting-Regeln.

Präventive Medienpädagogik sollte kein Spezialthema für die IT-Expert*innen der Schule sein, sondern als Aufgabe von allen Beschäftigten wahrgenommen werden. Das kann nur gelingen, wenn thematische Fortbildungen (siehe Bestandteile/FORTBILDUNGEN) besucht werden, damit die eigene Kompetenz weiterentwickelt wird. Lehrkräfte brauchen nicht in der Tiefe das Wissen zu erwerben, das heutige Kinder und Jugendliche als „Digital Natives“ oft mitbringen. Sie sollten sich aber gegenwartsorientiert mit der Lebenswelt ihrer Schüler*innen beschäftigen und die aktuell bei Kindern und Jugendlichen angesagten Messenger, digitalen Plattformen und Spiele kennen. Lehrkräfte benötigen ein Grundlagenwissen zum rechtlichen und vor allem pädagogischen Umgang mit digitaler sexueller Gewalt. Dazu gehört das Wissen über die entwicklungsbedingten Grenzen des Selbstschutzes von Kindern und Jugendlichen. Gerade von Jugendlichen, die natürlicherweise nach Autonomie streben, wird oft erwartet, dass sie Risiken ihrer digitalen Aktivitäten abschätzen können. Zu wissen, dass das hirnorganisch in diesem Alter noch gar nicht vollständig möglich ist, ermöglicht es Lehrkräften, ihren Schüler*innen zu vermitteln, dass sie keine Schuld trifft, wenn sie digitale sexuelle Gewalt erleiden. Für die konkrete Unterstützung nach Vorfällen digitaler sexueller Gewalt brauchen Schulen Kontakte zu spezialisierten Fachberatungsstellen, die die Betroffenen, ihre Eltern und die Schule beraten können (siehe Bestandteile/KOOPERATION). Einige digitale Anlaufstellen finden sich unter Tipps/MEDIENPÄDAGOGIK.

4. Präventionsangebote für Eltern

Auch für Eltern sollte es sowohl regelmäßige als auch anlassbezogene Veranstaltungen geben, die sie in die schulische Präventionsarbeit einbeziehen. Von Fachberatungsstellen herausgegebene Informationsbroschüren für Eltern, wie sie unter Tipps/ELTERNARBEIT zu finden sind, können hier eine gute Unterstützung bieten. Dieses Material kann auch die Eltern erreichen, die an den entsprechenden Veranstaltungen nicht teilnehmen können oder wollen. Bereits in der Grundschule ist es wichtig, dass es Elternabende zu den Themen „Wie schütze ich mein Kind vor sexueller Gewalt?“ sowie „Wie begleite ich eine gesunde Sexualentwicklung?“ und auch zum Thema Medienkompetenz im Umgang mit digitalen Medien gibt. Durch solche Angebote bekommen Eltern die Chance, in ihrem Familienalltag präventive Aspekte selbst zu berücksichtigen und diese Themen gemeinsam mit der Schule anzugehen.

Eltern befürchten manchmal, ihre Kinder könnten durch Präventionsangebote mit zu stark belastenden Fakten konfrontiert werden. Diese Sorge ist nicht unberechtigt, gibt es doch tatsächlich Angebote, die Ängste schüren. Deshalb ist es wichtig, schulische Prävention an Qualitätskriterien auszurichten, die sicherstellen, dass Prävention auf eine Weise Wissen vermittelt, die Mädchen und Jungen stärkt, Spaß macht und nicht ängstigt (Links zu Qualitätskriterien für Präventionsangebote finden sich unter Tipps/MATERIAL PRÄVENTION).

Gerade bei der Sexualerziehung bieten Elternabende die Chance, das Vertrauen der Eltern in die schulische Sexualerziehung und ihre Anliegen zu gewinnen, Unsicherheiten abzubauen und Eltern zu ermutigen, dieses Bildungsthema nicht an die Schule abzutreten, sondern es aktiv mitzugestalten. In der Regel sind Eltern sehr dankbar für die Unterstützung der Schule in diesen Fragen. Manche Eltern stehen solchen Angeboten auch kritisch gegenüber, unter Umständen, weil sie aus ihrem religiösen oder kulturellen Verständnis heraus das Sprechen über Sexualität ablehnen. Schulen sind dann manchmal geneigt, sich am (vermuteten) kleinsten gemeinsamen Nenner der Elternschaft zu orientieren, statt wie in anderen Themenfeldern eigene pädagogische Standards zu formulieren und die Eltern – auch mithilfe von sexualpädagogischen und Präventionsfachkräften – davon zu überzeugen. Wo dies nicht gelingt, kann letztlich nur der Hinweis auf den schulischen Bildungsauftrag, der im Rahmen der landesgesetzlichen Curricula auch Sexualerziehung enthält, helfen.

Sowohl für die Präventionsarbeit wie auch für die Sexualerziehung ist es wichtig, Eltern frühzeitig einzubeziehen und zu informieren, ihren Bedenken und Fragen Raum zu geben, bevor die entsprechende Unterrichtseinheit stattfindet.

Wie

WIE?

wird der Bestandteil Präventionsangebote erarbeitet?

Im ersten Schritt sollte die Projektgruppe vor dem Hintergrund der Potenzialanalyse betrachten, welche präventiven Ansätze in der Schule bereits vorhanden sind.

Im zweiten Schritt ist es sinnvoll, – am besten gemeinsam mit einer externen Fachkraft zu sexualisierter Gewalt – zu überlegen, wie das Vorhandene ergänzt und erweitert werden sollte und welche in der Region vorhandenen Projekte und Angebote dafür genutzt werden können. Hierbei werden auch finanzielle Aspekte zu berücksichtigen sein, denn in vielen Bundesländern sind die Präventionsangebote der Fachberatungsstellen nicht durch deren Finanzierung abgedeckt, sodass zum Teil erhebliche Kosten auf die Schulen zukommen können. Das gilt in besonderem Maße für die Angebote kommerzieller Anbieter. Auch das Kollegium und die anderen pädagogischen Fachkräfte sollten gefragt werden, womit sie schon gute Erfahrungen gemacht haben, wovon sie abraten und welche Materialien und Methoden empfehlenswert sind. Dabei sollte auch eine Einschätzung erfolgen, welche zusätzlichen Verpflichtungen realistisch sind, damit man nicht voller Euphorie Präventionsangebote festlegt und im Schutzkonzept niederschreibt, die im Schulalltag letztlich als Überforderung erlebt werden. Weniger ist mehr!

Tipps

 

Material Prävention

Material Medienpädagogik

  • www.wissen-hilft-schützen.de. Webportal der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs mit einer umfangreichen Auswahl an Informationen und Materialien verschiedener Anbieter zum Thema „Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierter Gewalt im digitalen Raum“ für pädagogische Fachkräfte und Eltern
  • jugendnotmail.de. Mail- und Chatberatung für Kinder (ab zehn Jahren) und Jugendliche, die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert wird
  • www.hilfe-telefon-missbrauch.online/jugendliche. Telefonische und Onlineberatung für Jugendliche beim Hilfetelefon sexueller Missbrauch. Ein Angebot der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs
  • www.juuuport.de. Hilfe bei Cybermobbing, WhatsApp-Stress & Co. Online-Beratung von Jugendlichen für Jugendliche. Ein Angebot der Niedersächsischen Landesmedienanstalt
  • jugend.support. Hilfe bei Stress im Netz. Eine Website der EU-Initiative klicksafe in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, die Kindern (ab zehn Jahren) und Jugendlichen Unterstützung bei Problemen im Netz anbietet.

Material Elternarbeit

Literatur

Projekte

  • Trau dich! Bundesweite Initiative zur Prävention des sexuellen Kindesmissbrauchs des Familienministeriums und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Mehrere Bundesländer kooperieren mit Trau dich!
  • Mein Körper gehört mir. Theaterstück der Theaterpädagogischen Werkstatt Osnabrück, die dieses und andere Theaterstücke für Schulklassen unterschiedlicher Jahrgangsstufen zum Thema „sexuelle Gewalt“ anbietet
  • Beratungsstellen-Rallye Göttingen zum Kennenlernen von Hilfsangeboten vor Ort für Schüler*innen. Kann für die eigene Stadt/den eigenen Landkreis adaptiert werden
  • Ausstellungen zur Prävention von sexueller Gewalt. Für unterschiedliche Zielgruppen zum Ausleihen bundesweit durch das Petze-Präventionsbüro Kiel
  • #UNDDU? Mach dich stark! Gegen sexuelle Gewalt unter Jugendlichen. Das Modellprojekt des Bundesjugendministeriums, umgesetzt durch Innocence in Danger e. V., beinhaltet ein Maßnahmenpaket zur Prävention von sexualisierter (digitaler) Peer-Gewalt. Es umfasst auch Workshop-Angebote für die verschiedenen Zielgruppen: Jugendliche, Eltern und pädagogische Fachkräfte
ZusätzlicheLänderinfos
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IX Ansprechstellen und Beschwerdestrukturen

Eine Schule mit funktionierenden Beschwerdeverfahren tut Entscheidendes dafür, dass sich Schüler*innen mit ihren Anliegen wahrgenommen und wertgeschätzt fühlen. Vertrauenslehrkräfte, Angebote der Schulsozialarbeit und andere Ansprechstellen sind ein wichtiges Signal an Schüler*innen in Notlagen.

Warum

WARUM?

Wozu dieser Bestandteil? Was haben wir davon?

Gute Beschwerdestrukturen sorgen dafür, dass problematische Vorgänge und Zustände frühzeitig bekannt werden und entsprechend gehandelt werden kann. Dadurch zeigt sich eine Schule als moderne, lernende Institution, die interessiert daran ist, sich weiterzuentwickeln. Kritische Rückmeldungen und Verbesserungsvorschläge aufzunehmen, Beschwerden zu prüfen und ihnen gegebenenfalls abzuhelfen, ist gelebte Partizipation. Selbst wenn es sich um rein subjektiv empfundene Probleme oder Belastungen handelt, denen am Ende nicht abgeholfen werden kann, so ermöglichen Beschwerdestrukturen doch das Gespräch und vermitteln den Schüler*innen, dass ihre Anliegen gehört werden. Wenn sie es gewohnt sind, in alltäglichen Angelegenheiten Gehör zu finden, haben sie bessere Chancen, sich bei gravierenden Vorkommnissen und Belastungen zu beschweren oder sich jemandem anzuvertrauen. Es geht bei diesem Bestandteil also ausdrücklich nicht um spezifische Beschwerdeverfahren zu sexueller Gewalt, sondern zu allen Themen. Konkrete Ansprechstellen wie Vertrauenslehrkräfte oder Schulsozialarbeiter*innen nehmen nicht nur schulische Beschwerden entgegen, sondern bieten auch Gespräche für belastete Schüler*innen an. Wenn sie offensiv vermitteln, dass auch private Belastungen und Gefährdungen hier ihren Platz haben, ist das ein wichtiger Schritt zur Schule als Kinderschutzinstitution. Umgekehrt gilt: Wo Schüler*innen keine Hilfe bei persönlichen Problemen und Belastungen bis hin zu traumatischen Erfahrungen finden, ist neben den diversen schweren Auswirkungen dieser Erfahrungen auch ihr schulischer Erfolg gefährdet. Eine Schule, die beschwerdeoffen ist, fördert das Vertrauen von Eltern in die Schule, weil sie sie als zugänglich erleben.

Dieser Konzeptbestandteil – „Ansprechstellen und Beschwerdestrukturen“ – ist ganz entscheidend dafür, dass es gelingt, die Schule zu einem Kompetenzort im Sinne eines Schutzkonzepts zu machen. Formale Angebote allein reichen aber nicht aus. Oft ist es entscheidend, von sich aus auf belastet wirkende Schüler*innen zuzugehen, das Gespräch zu suchen und Hilfe anzubieten. Eine Botschaft aus Berichten von Betroffenen von sexualisierter Gewalt sollte von Schulen verstanden werden: der Wunsch, dass auch nur einmal jemand nachgefragt und ein Gespräch von sich aus angeboten hätte. Das bedeutet: Es reicht nicht aus, dass Ansprechpersonen ansprechbar sind, sondern alle Kolleg*innen, die im Kontakt mit Schüler*innen sind, sollten den ersten Schritt machen, wenn sie sich Sorgen machen.

In einigen wenigen Fällen ist eine Beschwerde oder ein Gespräch mit einer Ansprechperson die Voraussetzung und der Impuls dafür, ein Verfahren auszulösen, wie es in den Interventionsplänen beschrieben ist.

Wann

WANN?

sollte dieser Bestandteil entwickelt werden?

Es gibt im Prozess der Schutzkonzept-Entwicklung keinen zwingenden Zeitpunkt dafür, am Bestandteil „Beschwerdeverfahren und Ansprechpersonen“ zu arbeiten. Nur sollte die Risikoanalyse zum 2. Risiko abgewartet werden, denn sie beantwortet die Frage „Wie groß ist die Gefahr, dass betroffene Schüler*innen an der Schule nicht bemerkt werden oder keine Hilfe finden?“. Diese Ergebnisse zeigen auf, wo Verbesserungen oder sogar neue Ideen entwickelt werden müssen, um Schüler*innen den Weg zu Hilfe zu ebnen.

Wer

WER?

sollte das Beschwerdeverfahren entwickeln?

Die Entwicklung dieses Bestandteils ist zwingend ein partizipativer Prozess, weil er für Schüler*innen bedarfsgerecht gestaltet sein muss. Schüler*innen dürfen sich mit ihren Erwartungen und Wünschen einbringen. Sie können am besten beschreiben, was sie brauchen, welche Verfahren, aber auch welche Atmosphäre sie sich wünschen, um Schule als Ort zu erleben, wo ihre Anliegen und Nöte aufgegriffen werden. Konkret sind hier (anonyme) Schüler*innen-Befragungen zu empfehlen, für die beispielsweise die Fragebögen, die unter Tipps/MATERIAL verlinkt sind, genutzt werden können.

Er braucht aber auch eine Offenheit im Kollegium und dessen beschwerdefreundliche Haltung. Damit dieses Ziel erreicht werden kann, müssen Vorbehalte und Ängste im Kollegium ernst genommen und Raum für die Auseinandersetzung geschaffen werden. Häufig ist die Sorge anzutreffen, in Zukunft mit Beschwerden überhäuft zu werden, die zum einen viel Arbeit mit sich bringen, aber zum anderen auch schlechte Stimmung schaffen können. Die Erfahrung zeigt, dass eher das Gegenteil der Fall ist: Die Beschwerden nehmen nicht massiv zu – und dadurch, dass die Verfahrensabläufe geregelt sind, machen sie eher weniger als mehr Arbeit. Manche männliche Kollegen fürchten, dass unberechtigten Beschwerden wegen sexueller Belästigung Tür und Tor geöffnet würden. Dieser Sorge ist mit Verweis auf den Interventionsplan am ehesten zu begegnen, denn das dort festgelegte Verfahren ist zum einen ergebnisoffen, und zum anderen mündet es gegebenenfalls in das Rehabilitationsverfahren, wenn tatsächlich ein Verdacht ausgeräumt werden konnte.

Die Beteiligung des Kollegiums ist auch deshalb zentral, weil es (wie unten ausgeführt) auf die Sichtbarkeit der Ansprechpersonen in Gestalt der Vertrauenslehrkräfte, der Schulsozialarbeiter*innen oder der Beratungslehrkräfte ankommt und diese sich in diese Rolle einfinden müssen. Spätestens wenn deutlich wird, dass es im Sinne des Schutzkonzepts auf jede und jeden im Kollegium als potenzielle Hilfe- oder Ansprechperson ankommt, wird klar, dass sich alle im Kollegium mit der Frage auseinandersetzen sollten, ob und wie sie sich das zutrauen und was sie dafür benötigen. Davon ausgehend kann die Projektgruppe Strukturen weiterentwickeln und dann in den Mitbestimmungsgremien zur Diskussion stellen.

Was

WAS?

Fragen, die beantwortet, Themen, die bearbeitet werden müssen

Funktionierende Beschwerdeverfahren sind weniger eine technische als eine Frage der Schulkultur. Es geht um die „Beschwerdefreundlichkeit“ der Schule und ihrer Beschäftigten, also um eine Kultur der Wertschätzung und der Fehlerfreundlichkeit. Die fehlerfreundliche Haltung erkennt an, dass Fehler ein normaler Bestandteil alltäglichen (beruflichen) Handelns sind. Sie können durch Unwissenheit, Überforderung oder Gedankenlosigkeit passieren und sie bieten Chancen zur Entwicklung und Veränderung. Sei es, dass eine Lehrerin sich bei einem Schüler entschuldigt und ihm damit ein Vorbild dafür ist, für Fehlverhalten einzustehen, oder dass Fehler aus Überforderung auf strukturelle Probleme in der Schule hinweisen, die dann idealerweise abgestellt werden. Im Umgang mit Fehlverhalten unterscheidet sich eine fehlerfreundliche Haltung, die Fehler transparent macht, von Täterstrukturen, die beabsichtigtes Fehlverhalten zu vertuschen suchen. In vielen Fällen ist es sinnvoll, sich als Kollegium durch Fachleute (Coaching) unterstützen zu lassen, um an dieser beschwerdefreundlichen Haltung zu arbeiten.

Damit Hilfe gelingt und Beschwerdeverfahren funktionieren, sind folgende Punkte zu klären:

  1. Wer darf sich beschweren oder über Probleme sprechen?
  2. Um welche Art von Problemen geht es?
  3. Wie und bei wem kann man sich beschweren, wem kann man sich anvertrauen?
  4. Was passiert, wenn ich mich beschwere oder jemandem anvertraue?

1. Wer darf sich beschweren oder über Probleme sprechen?

Im Rahmen des Schutzkonzepts liegt selbstverständlich der Schwerpunkt auf den Schüler*innen. Aber auch Eltern brauchen klare Wege, um Unterstützung für ihr Kind zu bekommen, wenn es zu Hause von negativen Erfahrungen in der Schule (z. B. Gewalt durch einen älteren Schüler) berichtet, aber sich selbst nicht traut, diese dort anzusprechen. Oft stellt sich die Frage, ob es auch anonyme Beschwerdemöglichkeiten geben soll. Der Nachteil liegt darin, dass Rückfragen und Rückmeldung ausgeschlossen sind, sodass direkte Abhilfe meist nicht möglich ist. Jedoch geben anonyme Beschwerden Stimmungsbilder wieder und können Hinweise auf Missstände geben, für die so zumindest Aufmerksamkeit geschaffen wird.

2. Um welche Art von Problemen geht es?

Damit Kinder und Jugendliche wissen, worüber sie sich beschweren dürfen, ist es wichtig, dass sie ihre Rechte kennen: Kinderrechte im Allgemeinen und den Verhaltenskodex der Schule im Besonderen. Diese gilt es in der Präventionsarbeit (siehe Bestandteile/PRÄVENTIONSANGEBOTE) immer wieder anzusprechen. Damit Mädchen und Jungen sich aber tatsächlich bei groben Verstößen gegen ihre Rechte auch trauen, Unterstützung zu suchen, brauchen sie bereits bei kleineren alltäglichen Problemen die Erfahrung, mit Kritik auf offene Ohren zu stoßen: etwa dem nicht schmeckenden Mensaessen oder den immer wieder verdreckten Toiletten. Es wäre nicht zielführend, das Thema Beschwerden auf Missbrauch zu verkürzen – die wenigsten Anlässe für Beschwerden im schulischen Kontext entstammen dem Themenfeld sexuelle Gewalt! Aber umgekehrt gilt, dass ein funktionierendes Beschwerdesystem gute Voraussetzungen dafür schafft, dass sich Schüler*innen auch im Fall von sexueller Gewalt anvertrauen.

Außerdem sollten Schüler*innen wissen, dass sie sich auch bei außerschulischen Problemen Unterstützung holen können.

3. Wie und bei wem kann man sich beschweren, wem kann man sich anvertrauen?

Kinder und Jugendliche brauchen niedrigschwellige Beschwerdemöglichkeiten und leicht erreichbare Ansprechpersonen. Verschiedene Zugänge gewährleisten die Nutzbarkeit für unterschiedliche Schüler*innen. Bewährt haben sich folgende Kommunikationswege: 

  • persönliche Ansprache
  • Angebot einer Sprechstunde
  • Schriftliche Kontaktaufnahme (per Brief, Beschwerdeformular – für Schüler*innen mit Lernschwierigkeiten oder geistiger Behinderung eventuell mit Symbolen und Piktogrammen gestaltet)
  • digitale Kontaktaufnahme (Email, Messenger-Nachrichten)
  • telefonische Erreichbarkeit

Zudem sollte es mehrere benannte Ansprechpersonen geben, denn eine gewisse Auswahl erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass „die Chemie stimmt“. Manchen Schüler*innen kommt es auch entgegen, wenn sie sich zwischen einer männlichen und einer weiblichen Person entscheiden dürfen. Teilen sich mehrere Personen diese Aufgabe, hat das den Vorteil, dass die zeitnahe Erreichbarkeit eher gesichert ist. Schulen könnten beispielsweise neben dem Schulsozialarbeiter eine Vertrauenslehrerin sowie die Beratungslehrkraft benennen, aber natürlich auch die Vertretungen der Schüler*innen auf Klassen- und Schulebene.

Eine besondere Herausforderung stellt dieses Thema für inklusive und Förderschulen dar. Mädchen und Jungen, die aufgrund einer geistigen oder schwerstmehrfachen Behinderung in ihrer Kommunikation eingeschränkt sind, können sich in der Regel nicht selbstständig an Ansprechpersonen wenden. Sie sind darauf angewiesen, dass ihre alltäglichen Kontaktpersonen (Eltern, Schulhelfer*innen, Pflegepersonal, Erzieher*innen und Lehrkräfte) aktiv nachfragen, ob es Belastendes oder Ärgerliches gibt, sie zu Beschwerden ermutigen und ihnen hierfür Ausdrucksmöglichkeiten geben.

Mädchen und Jungen, die von sexueller Gewalt betroffen sind, suchen erfahrungsgemäß auch bei anderen als den offiziellen Ansprechpersonen nach Hilfe. Sie entscheiden selbst, wem sie vertrauen. Deshalb sollte sich jede Lehrkraft und jede pädagogische Fachkraft dieser Aufgabe gewachsen fühlen. Es geht nicht um Expertentum, sondern um ein Basiswissen zu der Frage „Was tue ich, wenn sich mir ein*e Schüler*in anvertraut?“. Dieses Wissen wird in Fortbildungen vermittelt und hilft, die eigene – verständliche – Unsicherheit abzubauen. Die Online-Fortbildung "Was ist los mit Jaron?" ermutigt schulische Beschäftigte, aktiv auf Schüler*innen zuzugehen, wenn sie sich Sorgen machen. Ihnen Brücken zu bauen, anstatt abzuwarten, ob jemand von allein die Hürde überwindet, den schweren ersten Schritt zum Reden zu machen.

Darüber hinaus sollte sich eine Schule im Schutzkonzept dazu verpflichten, die Schülerschaft über externe Hilfeangebote wie Fachberatungsstellen in der Nähe oder Hilfetelefone und Online-Beratungsangebote für Kinder und Jugendliche zu informieren (siehe Tipps).

4. Was passiert, wenn ich mich beschwere oder jemandem anvertraue?

Es ist wichtig, dass grundsätzlich bekannt ist, wie mit Beschwerden verfahren wird. Im konkreten Fall sollte das betreffende Mädchen oder der Junge kontinuierlich darüber informiert werden, was im nächsten Schritt mit seiner Beschwerde oder seinem Anliegen passiert. Die verantwortliche Ansprechperson sollte die Beschwerde und den Umgang damit dokumentieren.

Hat ein Mädchen oder Junge sich nicht beschwert, sondern Belastendes einer Ansprechperson anvertraut, ist Transparenz im weiteren Umgang mit dem Gehörten besonders wichtig. Berührt das anvertraute Problem Kinderschutzfragen, kann in aller Regel keine Geheimhaltung zugesichert werden. Ein in der Online-Fortbildung „Was ist los mit Jaron?“ verwendetes Material zum Thema "Wichtige Aspekte für Gespräche mit Kinderschutzhintergrund" kann hier Orientierung bieten.

Wie

WIE

stellt man sicher, dass alle die Beschwerdewege und Ansprechstellen kennen?

Das beste Beschwerdesystem und andere schulische Hilfsangebote nützen nichts, wenn sie nicht bekannt sind. Deshalb gehört zu deren (Weiter-)Entwicklung auch die Planung, wie man die Angebote bekannt macht und bekannt hält.

Eine regelmäßige Thematisierung in den Klassen und die Vorstellung auf einem Elternabend für neue Eltern sind zentrale Elemente. Vielleicht stellt man auch Ergebnisse von Beschwerden, die von allgemeiner Bedeutung sind, sowie die Ergebnisse von Befragungen auf SV- und Elternbeiratssitzungen, Gesamt- und Schulkonferenzen vor und verdeutlicht damit die Gewichtung des Themas. Auch auf der Schulhomepage darf eine Vorstellung des Beschwerdeverfahrens und der Ansprechpersonen nicht fehlen, idealerweise verknüpft mit einer Möglichkeit, hier direkt Kontakt aufzunehmen. In der Schule kann es außerdem Aushänge und Infoblätter geben.

Ansprechpersonen sollten sich – immer mal wieder – in den Klassen vorstellen, weil sich Mädchen und Jungen erfahrungsgemäß eher an bekannte Personen wenden. Mit einer persönlichen Vorstellung werden „Brücken gebaut“, wenn die Ansprechperson auch davon berichtet, für welche Themen sie ansprechbar ist. Wer ausführt, dass neben schulischen Problemen wie z. B. Schwierigkeiten mit einzelnen Lehrkräften oder Mobbing auch private Themen wie familiäre Probleme, (sexuelle) Gewalterfahrungen oder psychische Probleme hier ihren Platz haben, signalisiert maximale Offenheit.

TIPPS

 

Literatur

  • Freie Universität Berlin (BIBEK): Beschweren erlaubt – 10 Empfehlungen zur Implementierung von Beschwerdeverfahren in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe
  • Erzbischöfliches Ordinariat Berlin/Beauftragter zur Prävention von sexualisierter Gewalt (Hrsg.) Arbeitshilfe Institutionelles Schutzkonzept zur Prävention von sexualisierter Gewalt in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Seite 50-62 Beratungs- und Beschwerdewege
  • Dalhoff, Maria/Şimşek, Nilüfer/Vasold, Stefanie (2020): Achtsame Schule. Leitfaden zur strukturellen Prävention von sexueller Gewalt. Hrsg.: Selbstlaut. Seite 63-70 Umgang mit Beschwerde

Material

Ehemaliges Online-Selbstevaluierungstool, dessen bereichsspezifische Fragebögen für Jugendliche ab 14 Jahren weiterhin für eigene Zwecke genutzt werden können. Sie wurden im Rahmen eines Forschungsvorhabens des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs 2015–2018 in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Jugendinstitut e. V. entwickelt und umfassen verschiedene Bereiche, u. a. Schule.

Gemeinsam mit der Nummer gegen Kummer e. V. hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eine Schulbox konzipiert. Mit ihr soll das Beratungsangebot der Nummer gegen Kummer bei Kindern und Jugendlichen bekannter gemacht werden. Die Schulbox beinhaltet Informationsmaterialien (Flyer, Poster, Infokarten, Sticker) zu den Beratungsangeboten der Nummer gegen Kummer. Die Schulbox gibt es auch als barrierefreie Version.

Diese Handreichungen enthalten Anregungen, wie Sorgen und Probleme im Unterricht thematisiert werden können. Sie sind Teil der Schulbox, stehen aber auch direkt zum Download zur Verfügung.

Mail- und Chatberatung für Kinder (ab zehn Jahren) und Jugendliche, die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert wird.

Telefonische und Online-Beratung für Jugendliche beim Hilfetelefon sexueller Missbrauch. Ein Angebot der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs.

Hilfe bei Cybermobbing, WhatsApp-Stress & Co. – Online-Beratung von Jugendlichen für Jugendliche. Ein Angebot der Niedersächsischen Landesmedienanstalt.

Eine Website der EU-Initiative klicksafe in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, die Kindern (ab zehn Jahren) und Jugendlichen Unterstützung bei Problemen im Netz anbietet.

ZusätzlicheLänderinfos
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